Caesar erwacht!
Maßanfertigung durch fragwürdige Vorbilder wurde heute bevorzugt, und alle vegetierten gemeinsam vor sich hin. Tief in seinen Überlegungen versunken, überraschte Nicole ihn mit ihrer Nähe.
Sie setzte sich neben ihn und hauchte ihm tatsächlich einen Kuss auf die Wange. Offenbar versöhnt, weil gerührt von seinem grüblerischen Anblick.
„An was denkst du gerade?“, fragte sie ihn, und er nahm ihre Hand.
„An mein Rom und deine Welt.“
„Meine Welt ist für dich ganz schön am Ende, was?“
„Ich möchte mit solcher Weltuntergangsstimmung nicht immer leben müssen. So hoffnungslos! Keiner macht das Richtige und führt euch zurück, zu neuen, fruchtbaren Quellen. Ihr werdet zu euren eigenen Maschinenwesen, seelenlose Geschöpfe, die nur noch Stickstoff atmen. Und eines Tages wird die Sonne nicht mehr aufgehen. Es muss etwas geschehen. Jetzt!“
„Es ist mein Zeitalter“, bemerkte Nicole. „Und ich lebe darin. Ich kenne es nicht anders. So dunkel ist es nicht.“
„Du lebst darin, und du kennst es nicht anders. Ich schon.“ Seine Antwort klang trotzig.
„Und wie willst du etwas auf schnellem Wege ändern? Was Hunderte von Politikern nicht schaffen? Tausende von Industriebossen und unzählige Umweltaktivisten?“
„Hörst du, wie sie rufen, meine Schöne! Sie rufen um Hilfe!“
Nicole lauschte tatsächlich in die Stille. Nur der heiße Wüstenwind sang ihr ein Lied. Anscheinend war ein Mensch des 21. Jahrhunderts nicht sensibilisiert genug, um diese Art von Ruf zu hören?
„Ich habe mich lange mit den Schülern des Internats unterhalten. Was glaubst du, wünschen die sich? Müssen sie nicht ein schreckliches Erbe antreten?“ Caesar stellte Nicole sehr ungewöhnliche Fragen.
„Sie unterhalten sich mit ihrem Entführer?“, war Nicoles erstaunte Antwort. Sie war wirklich verblüfft.
Caesar lächelte und stand auf, zog Nicole mit aus dem gewaltigen Gebäude hinaus auf einen Hof. Draußen wurden in der warmen Abendluft Beduinenspiele abgehalten. Verschiedene Reiter kämpften johlend um die Ehre und versuchten, hölzerne Gegner mit ihrem Schwert umzuhauen. Nicole erkannte, durch große Feuer erhellt, teilweise rosige Gesichter und blondes Haar unter den Kapuzen. Kinderlachen drang an ihr Ohr. Am Rand standen eine Menge junger Frauen in traditioneller Kleidung des Wüstenvolkes. Unter ihnen auch junge Mädchen der elitären Gesellschaft Europas. Sie feuerten die jungen Männer an, die Nicole ein seltsames Schauspiel boten. Ausgelassenheit und Begeisterung, lebendige Teilnahme am Geschehen bestimmten das Schauspiel. Völkerverständigung auf menschlichem Niveau. Keine Computeranimation, kein Ethnologie-Unterricht würde das bewirken. Sie waren von ihrem elitären Olymp hinabgestiegen und wurden nur von purer Lebensfreude getrieben. Sie vermissten nicht mal ihre Eltern, die sie sicher sowieso nur zu wenigen, offiziellen Anlässen zu Gesicht bekamen.
Nicole hatte alles erwartet, aber nicht das!
Caesar bemerkte ihren verwunderten Blick und guckte sie herausfordernd an. „Nun? Hörst du sie jetzt rufen? Wenigstens die zukünftige Generation.“
Nicole dachte an Christian und Tristan und wie das Druidenleben auf sie wirkte. Sie nickte stumm. Sie verstand. Die Kinder entdeckten ihn und winkten ihm sogar zu. Was, wenn sie wüssten, dass der Mann, der sie im Latein-Unterricht zum Schwitzen brachte, weil sie seine Kriegs-Berichterstattungen zu Übungszwecken pauken mussten, höchst lebendig vor ihnen stand? Und was, wenn sie auch wüssten, dass seine darin beschriebene Geiseltaktik bei ihnen gerade angewandt wurde?
„Du hast sicher viele Fragen.“ Caesar schien Nicoles Gedanken zu lesen.
Sie nickte wieder stumm und folgte ihm zurück in seine Räumlichkeiten.
Am Diwan angekommen, wurde Nicole wie immer sanft von Caesar hineingedrückt. Das war eine köstliche Angewohnheit von ihm. Genauso, wie ihr Wein und Wasser zu kredenzen. Er saß ihr dann Händchen haltend gegenüber und blickte sie an. Sie hatte 2000 Fragen zu seiner Vergangenheit. Leider musste sie zunächst die Fragen, die Gegenwart und Zukunft betreffend, vorziehen.
„Wie hast du die Kinder so ruhig stellen können?“
„Oh, für sie ist es Abenteuerurlaub. Sie glauben, ihre Eltern haben sie hierher gesandt, um mal zu entspannen. Ich habe das sehr glaubhaft inszeniert. Die meisten nehmen an, sie wirken in einem Film mit. Aussicht auf Popularität blendet, wie eh und je. Den Rest habe ich von der Truppe getrennt.
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