Cäsar läßt grüssen
gewesen war. Sie fürchtete ihn nicht, sie glaubte, ihn unbesorgt erwarten zu können. Sie war sich nur völlig im unklaren, was der Mann wollte. Man greift nicht zum Schwert, um bloß Konsul zu werden. Was ging in seinem Kopfe vor?
Natürlich kann man die Frage auf sich beruhen lassen, die Ereignisse verfolgen und zum nächsten übergehen. Dann wird die Geschichte ein Wachsfigurenkabinett. Aber die Römer waren aus Fleisch und Blut, weinten und lachten (selten), grübelten und planten, hatten Furcht, hatten Sehnsüchte, waren zögernd, waren entschlossen, Treibende oder Getriebene. Ihre Zeit war ihre Gegenwart, unbekannt schon die nächste Stunde. Nur wir wissen, wie es weiterging, nämlich: die römische Geschichte bricht um, die lange, lange Zeit der Demokratie endet, die Diktatoren und Kaiser kommen. Wer war Caesar? Nemesis? Bewußt? Unbewußt? Erkannt? Nicht erkannt? Herzen haben die Weltgeschichte mehr bewegt als Gehirne, und immer sind es die Herzen, nach denen unser eigenes fragen wird.
Das Bild Caesars hat viele Wandlungen durchgemacht. Seine Zeitgenossen sahen in ihm einen Mann, der an die Macht kommen wollte und an die Macht kam. Die Umstände, so glaubte man, ließen nur eine Form zu: die Diktatur. Er schlidderte in sie hinein. Seine beiden Biographen, Sueton und Plutarch, sehen ihn wie einen Feldherrn des Lebens, als allgemein gültiges »Wer wagt, gewinnt«. Wenn das stimmen würde, könnten wir die Akten über ihn schließen. Kaiser Augustus, der schon im Jahre 40 (noch als General!) überraschend den Titel »Imperator Caesar« annahm, wußte es besser. Er sah in ihm einen von der Entwicklung quergeschriebenen Sichtwechsel.
Petrarca, und nach ihm die ganze Renaissance, betrachtete Caesar zum erstenmal als »Genie«. Genie war für jene Epoche Tornado, wehender Mantel, Götterzorn, Titanenschicksal. Auch Columbus wäre für Petrarca ein Genie gewesen, und in dessen Kopf spielte sich wirklich nichts ab.
Erst im neunzehnten Jahrhundert gab man dem Genie-Begriff einen tieferen Inhalt. Hegel hielt Caesar für das bewußte Genie, den überschauenden Geist der Geschichte.
Sie haben natürlich bemerkt, daß alle diese Auffassungen eine Voraussetzung haben: die Billigung der Tat Caesars. Der große Historiker Mommsen war der erste, der das Kriterium »gut« oder »schlecht« beiseite schob und an den Kern der Frage heranging, was Caesar wollte und was er von der Weltgeschichte richtig erkannte. Mommsen glaubte, daß Caesar ohne persönliche Wünsche war; daß er Zuckungen der Demokratie richtig als Todeszuckungen eines verfallenden Körpers erkannte; daß er an den Beispielen der späthellenistischen Welt eine Wiedergeburt im Königstum als natürliche Entwicklung bewiesen glaubte; und daß er bewußt auf eine demokratische Monarchie zusteuerte.
Dem widerspricht vieles. Caesar hat die römische Königswürde ausdrücklich abgelehnt, und die Beispiele eines hellenistischen Königstums waren gerade zu seiner Zeit entmutigend schlecht.
Die Gegenwart, vertreten hauptsächlich durch die junge Generation, hat — wie Kinder sind — die Frage nach »gut« und »schlecht« wieder aufgegriffen. Dabei fällt ihr das feurige Urteil nicht schwer: schlecht. Ein Eindringen in die Materie erübrigt sich damit. Aber auch ergraute Historiker zeigen die typischen Verkehrsunfall-Reaktionen: sie nennen Caesar einen Faschisten. Das Erstaunliche an dieser Platitüde ist, daß sie stimmt. Und das wollen wir uns doch einmal genauer ansehen.
In Caesars Kindheit und Jugend fallen: der Bundesgenossenkrieg gegen Rom, der »Börsenkrach« des Jahres 90, der Aufruhr der Proletarier, der Bürgerkrieg des Marius, die Schreckensherrschaft des Cinna, die Hinrichtungen durch Sulla, der erneute Umsturz nach Sullas Tode, der Monsterprozeß gegen Verres, der Sklavenaufstand des Spartakus, die Seeräubereinfälle, die Lebensmittelverknappung, die Inflation, die Verschwörung des Catilina. Er hatte also alle Scheußlichkeiten eines Volkes im Delirium und eines hilflosen Staates erlebt. Natürlich — man kann Rechtsunsicherheit, tägliche Verbrechen, Mord, Aufruhr, Inflation und Straßenschlachten gewohnt werden, oft genügt eine Generation, um diese Dinge für die gegebenen Begleiterscheinungen des Lebens hinzunehmen. Dann ist man ein angenehmer Zeitgenosse und wird »Realist« genannt. Als unrealistisch gilt, wer diese Dinge, die gern das Attribut »vielschichtig« annehmen, entkompliziert und verflucht. Der spätere Caesar hat gezeigt,
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