Cäsar läßt grüssen
den Gedanken kommen, hier werde sich ein Zustand verewigen und ein Amt vererben. Sie hatten ihm keine goldene Kette gegeben, sondern nur zwei Hände voll unzusammenhängender Glieder.
Dachten sie.
Am 1. Juli 23 hatte er die Glieder zu einer Kette zusammengefügt. An diesem Tage übertrugen ihm Volk und Senat auf Lebenszeit die tribunizische Gewalt, ohne Volkstribun zu sein, das bedeutet: ohne vom Veto eines anderen Tribunen in der Volksversammlung jemals behindert werden zu können. Damit wurde er alleiniger Gesetzgeber, wie es die alten Könige gewesen waren.
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Wir nennen es »Kaiser«, und da Augustus nicht mehr lebt, kann er uns nicht widersprechen. Wir lernen auch: »30 vor bis 14 nach, Kaiser Augustus«, wovon außer seinem Todesdatum überhaupt nichts stimmt. Im Jahre 30 war er Konsul, Oberbefehlshaber und Statthalter, eine Kollektion von Ämtern, die er durchaus nicht als erster in der Geschichte innehatte. Drei Jahre später war er außer Konsul überhaupt nichts, also alles andere als Monarch. Augustus hieß er nicht, und Kaiser, das heißt König über Könige oder mehrere Reiche war er auch nicht. Es müßte heißen, wie es Theodor Mommsen bezeichnet haben wollte: »23 vor bis 14 nach, Julius Caesar Octavian Dyarch.«
Unser Wort Kaiser (ebenso Zar) hat sich durchaus unlogisch aus »Caesar« gebildet. Wenn wir in den späteren römischen Herrschern überhaupt den Anlaß der Wortbildung sehen wollen, weil sie alle ihrem Familiennamen »Caesar Augustus« hinzufügten, dann haben wir für den Herrscherbegriff das falsche Wort herausgenommen. »Caesar« hießen auch die Kronprinzen, »Augustus« war das Wort, das nur die Souveräne führten. Statt »Kaiser Wilhelm II.« müßte es eigentlich heißen »August Wilhelm II.«, »August Barbarossa«, »August Napoleon«.
Mommsen nannte Octavian »Dyarch« statt »Monarch«. Er deckt damit das ganze Geheimnis der Herrschaft Octavians auf: die scheinbare Doppelsouveränität von Princeps und Senatus Popolusque Romanus. Augustus hat im Laufe der Jahre den Römern eine Verfassung gegeben, die die Fiktion der Demokratie aufrecht erhielt und sie glauben ließ, mit ihm zusammen, nur mit getrennten Kompetenzen, zu regieren: das demokratische Regiment in Rom und monarchische Regiment im Reich.
Das Ei des Kolumbus war gefunden. Die Iden des März würden sich nicht wiederholen.
Wirklich nicht?
Kein Dolch, kein Schwert, kein Gift für die Viper? Hatten sie alles vergessen? Seine Lügen, seinen Verrat, seine Treulosigkeiten, seine Grausamkeit?
Wir sind, meine Freunde, in der römischen Geschichte an jener Stelle angelangt, an der sich ein Wunder vollzog, ein Wunder, das man zwar mit einem nüchternen Satz bezeichnen, aber auch mit hundert nüchternen Sätzen nicht erklären kann: Octavian war ein anderer Mensch geworden!
Dieser Heilsarmee-Traum ist eines der größten Rätsel der Geschichte. Fünfzehn Jahre lang hatten die Römer Octavian als Schuft gekannt; diesen Schuft und keinen anderen hatten sie, geblendet von seinen Erfolgen und zugleich euphorisiert von tiefen mystischen Erinnerungen »augustus« genannt, doch als sie am nächsten Morgen aufwachten, sahen sie anstelle Octavians tatsächlich einen neuen Menschen. Wie in unseren Märchen war die Kröte verschwunden und der Königssohn stand da.
Von nun an müssen wir alles vergessen, was wir über Octavian wissen. Der Mann, der jetzt in goldgestickter Purpurtoga mit dem Lorbeer im Haar durch die Menge geht, hat sich in den Antipoden seiner Jugend verwandelt, vielleicht in langen inneren Kämpfen, vielleicht mit der Kraft eines Schauspielers. Sueton berichtet, daß Augustus in seiner Todesstunde an die Freunde, die sein Lager umstanden, lächelnd wie immer die Frage richtete, ob er das Schauspiel des Lebens nicht gut gespielt habe.
Welches war die Rolle und welches das Leben? Wer war der wahre Octavian Augustus? Der erste, sagen Sie? Weil er damals noch frei von Maskenzwang war? Der zweite, sagen Sie? Weil er endlich frei von dem politischen Zwang zum Bösen war?
Er, der nie Recht gekannt hatte, war jetzt der Inbegriff der Rechtlichkeit. Er war zügellos gewesen, jetzt lebte er schlicht wie Cato. Er war unbarmherzig gewesen, jetzt war er milde. Er hatte die Menschen verachtet, jetzt hielt er schützend die Hand über jeden. Er hatte nie verzeihen können, jetzt verstand er alles. Er hatte Rom in Wirren und Bürgerkriege gestürzt, jetzt wurde seine Regierungszeit eine lange Friedensperiode, vierzig Jahre
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