Cäsars Druide
an den keltischen Bräuchen. Und wenn dir ein Unglück geschieht, Cäsar, dann wird er nicht zögern, sich mit Hilfe der Helvetier zum König aller Stämme ausrufen zu lassen.« Liscus' Stimme wurde immer weinerlicher. Er kam während des Sprechens so richtig in Fahrt. Es hätte wohl wenig gefehlt, daß er wie ein altes Klageweib zu Boden gesunken und sich wie ein Wurm im Staub gewunden hätte. Wenn ich auf einem einzigen Bein hätte stehen können, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, wer weiß, ich hätte diesem Liscus vielleicht einen tüchtigen Tritt in den Hintern gegeben. Wie konnte ein Mann sich bloß so erniedrigen!
Den ganzen Tag über empfing Cäsar weitere Adlige aus der Gefolgschaft von Diviciatus und Liscus. Es war schon erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Cäsar sich in dieser Wildnis als Herr und Richter aufspielte. Aber die meisten Kelten machten es ihm leicht. Sie stellten seine Autorität nicht in Frage. Gegen Abend empfing Cäsar dann nochmals Diviciatus zum Gespräch. Er bat alle Dolmetscher und Schreiber, das Zelt zu verlassen. Nur mir befahl er zu bleiben. Nachdem er mich bei der öffentlichen Unterredung mit Divico öffentlich zurückgesetzt hatte, gewährte er mir also wieder eine besondere Ehre. Ich bin sicher, daß dieses Wechselspiel von Milde und Härte von Cäsar gezielt eingesetzt wurde, so, wie man auch Brot und Peitsche zur Dressur bestimmter Tiere einsetzt. Nun gut, ich war nicht Cäsars Haustier, aber Cäsars Druide.
Cäsar eröffnete das Gespräch, indem er Diviciatus überschwenglich lobte. Das war sehr geschickt. Will man jemanden kritisieren, sollte man stets mit Lob beginnen. Cäsar lobte also Diviciatus' Freundschaft, seine Treue, sprach von bewegenden menschlichen Augenblicken, die er in seiner Gegenwart erfahren durfte. Er klopfte den alten Mann regelrecht weich mit all seinem Lob, wie ein Faustkämpfer, der pausenlos auf seinen Gegner einschlägt, bis dieser stehend das Bewußtsein verliert. Diviciatus saß auf einem Stuhl. Er war nervlich völlig zerrüttet, und wie bei vielen Menschen, die sehr lange mit dem Schicksal hadern, flossen die Tränen in Strömen, wenn einer ihnen ein bißchen Verständnis und Liebe entgegenbrachte.
»Ich sollte deinen Bruder Dumnorix hinrichten lassen. Das befehlen mir Gesetz und Brauch. Aber mein Herz sagt mir, daß ich einen treuen Freund, wie du es bist, Diviciatus, nicht verletzen darf.«
Ich übersetzte Cäsars Satz und versuchte mit leiser, bewegter Stimme, die Rührung zu erzeugen, die Cäsar beabsichtigt hatte. Ich spürte förmlich, wie Cäsars Sätze Diviciatus' Körper durchdrangen. Auch Cäsar bemerkte es. Für einen Augenblick glaubte ich Anerkennung in Cäsars Augen zu lesen. Für einen ganz kurzen Augenblick waren wir Verbündete. Ich genoß es, den Hauch einer Bewunderung zu erfahren. Sicher, es war überheblich und abstoßend, sich als Maß aller Dinge zu betrachten, so wie es Cäsar tat, aber wer weiß, möglicherweise genoß er wirklich den besonderen Schutz der unsterblichen Götter, die er bei jeder Gelegenheit aufs neue bemühte. Ich setzte meine Übersetzung fort, leise und einfühlsam, während Diviciatus beschämt den Kopf senkte und von einem stummen Weinkrampf geschüttelt wurde. Als Cäsar freundschaftlich seine Schulter berührte, fiel Diviciatus auf die Knie und weinte hemmungslos, während er wie ein ertrinkendes Kind Cäsars Knie umklammerte. Diviciatus klagte Cäsar sein Leid und gestand ihm, daß alles wahr sei, was man ihm erzählt habe.
»Nur durch mich ist mein Bruder damals zu Ehre und Ansehen gelangt. Doch er hat es besser als ich verstanden, sich überall beliebt zu machen. Und jetzt schadet er mir, wo immer er kann.«
Es war einfach unerhört, wie sich nun auch Diviciatus vor Cäsar erniedrigte! Ich brauchte ein Höchstmaß an Konzentration, um dieses Gestammel zügig übersetzen zu können. Diviciatus hing zitternd an Cäsars Knien und bat um Gnade für seinen Bruder. Ein beschämender Augenblick für einen Kelten. Ich weiß nicht, ob nicht dieses Verhalten auch dazu beitrug, daß Cäsar die Achtung vor den Kelten allmählich verlor.
»Alle Häduer wissen, daß ich deine Freundschaft genieße, Cäsar. Wenn du also meinen Bruder bestrafst, werden alle denken, ich hätte es veranlaßt, und alle werden sich von mir abwenden!«
Cäsar fühlte sich langsam unwohl. Er ergriff Diviciatus' Hand und bat ihn aufzustehen. Dann wandte er sich von ihm ab, und während er sich mit einem Leintuch
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