Cäsars Druide
und die Konturen wurden verwaschener, wie ein Kiesel, den die Jahre im Wasser rund geschliffen hatten. Manchmal glaubte ich Wanda auf irgendeinem Markt zu sehen. Wie von Sinnen drängte ich mich zwischen den Menschen hindurch, hob den Arm, rief ihren Namen, und einmal, als ich hinter ihr stand und sie sich umdrehte, sah ich, daß es eine alte Frau war, zahnlos und zerknittert. Hatten mir die Götter etwas mitteilen wollen?
Es ist viel einfacher, anderen Menschen Ratschläge zu erteilen, als sich selbst daran zu halten. Ich dachte oft an die Ratschläge unserer Druiden. Besonders nachts, wenn ich nicht schlafen konnte und Lucia beneidete, die zusammengerollt neben mir lag und schnarchte. Die Druiden sagen, daß man den Verlust eines geliebten Menschen schneller verkrafte, wenn man den Verlust hinnahm. Aber ich wollte und konnte mich mit Wandas Abwesenheit nicht abfinden. Meine einzige Hoffnung war, eines Tages nach Massilia zu gehen und Wanda zu suchen. Daß ein Sklavenhändler aus Massilia sie gekauft hatte, das war mein einziger Anhaltspunkt. Natürlich konnte er sie unterwegs irgendwo verkauft haben. Aber ich dachte, daß man eine derart hübsche germanische Sklavin bis nach Massilia bringen würde. In Genava gab es genügend Germaninnen, die andere hübsch fanden. Massilia. Dafür lebte ich. Dafür nahm ich auch das Angebot von Fufius Cita an, geographische Karten zu kopieren. Es war eigenartig, für einen Römer Karten über mein eigenes Land anzufertigen. Obwohl Fufius Cita die Karten für die Errichtung der neuen Proviantlager brauchte, waren sie von hohem militärischem Wert. Aber Fufius Cita vertraute mir, weil auch Cäsar mir vertraute. Ich zeichnete gerne Karten. Ich liebe es, Flüsse, Wälder und Städte einzuzeichnen. Es war abwechslungsreich und brachte mir zusätzliches Geld. Und die stille Anerkennung von Fufius Cita. Er machte keine großen Worte. Er war ein anständiger Römer, stets freundlich und korrekt. Aber wir kamen uns nie wirklich näher.
IX.
Samhain bedeutet Sommers Ende und gilt als größtes Fest in Gallien. Es wird jeweils am ersten November und in der Nacht davor gefeiert. An diesem Tag muß das Vieh von den Sommerweiden zurück sein. Die überzähligen Tiere müssen geschlachtet und gepökelt sein, und alle Abgaben und Tribute sind fällig. Jene zwölf Nachtstunden, die den Sommer vom Winter trennen, gehören den Göttern und den Toten. Es ist eine unbestimmte Zeit, weil sie nicht mehr Sommer und noch nicht Winter ist. In jenen zwölf Nachtstunden fließen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinander. Die Anderswelt vermischt sich mit unserer Welt. Wer Fragen an die Götter hat, stellt sie in der Nacht von Samhain. Und ich hatte ernsthafte Fragen.
Ich ließ mir vom Mädchen aus dem Gasthof, das die meisten Boa riefen, ein saftiges Stück Wildschwein und einige Schläuche Wein bringen. Dann ließ ich mich von Fufius Citas Sklaven zum nahen Wald begleiten. Sie machten ein Feuer für mich. Sie schafften Steine zum Sitzen herbei und ordneten sie kreisförmig an. Vor jedem steinernen Sitz lag ein etwas flacherer Stein. Es war nicht nötig, die Sklaven anzutreiben. Die Sklaven gehorchten und beeilten sich. Die Angst war ihnen ins Gesicht geschrieben. Je näher die Dämmerung kam, desto schneller wurde gearbeitet. Jedes Geräusch erschreckte sie. Ständig drehten sie sich um, blitzschnell, und starrten in den Wald. Als das Feuer loderte und die Speisen und Getränke für acht Personen bereitstanden, erlaubte ich den Sklaven zu gehen. Sie sollten in den frühen Morgenstunden wiederkommen und mich abholen.
Fast alle Menschen fürchten sich vor Samhain. Sie bleiben deshalb zu Hause und setzen sich um das Feuer. Sie essen und trinken und erzählen sich Geschichten, damit die Zeit schneller vergeht. Wenn sie ein Geräusch hören, stellen sie sich taub. Sie stehen nicht auf und schauen nach. Denn sie wissen, es sind die Toten, die sie heimsuchen. Überrascht man einen Toten, ist man bereits mit einem Bein in der Anderswelt. Auch im Freien sollte man sich nicht umdrehen, wenn man Schritte hört. Man sollte wirklich zu Hause bleiben. Und genügend Speisen und Getränke für die Toten bereithalten.
Aber in dieser Nacht wollte ich sie sehen, die Toten, all jene Menschen, die mir einmal viel bedeutet hatten und jetzt in der Anderswelt lebten. Ich wollte Onkel Celtillus sprechen, ich wollte auch all die Toten aus meinem raurikischen Hof wiedersehen, meine Mutter und meinen Vater, die ich ja kaum
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