Cafe con Leche
Gozo
gehen, das fünf Kilometer vor den Toren Santiagos liegt. Er möchte die letzte
Etappe noch bewusster wahrnehmen. Ich würde auch gerne länger verweilen. Hatten
Chris und ich uns doch vorgenommen, bis nach Finisterre, das circa einhundert
Kilometer hinter Santiago an der Atlantikküste liegt, zu gehen. Dort wollten
wir zum Abschluss unseres Pilgerns in den Atlantik steigen, wie es die Pilger
schon im Mittelalter getan haben, um sich von ihren Sünden reinzuwaschen. Mit
diesem Ritual wollten wir unser Pilgern krönen. Doch unser zu Neige gehendes
Geld diktiert nun die Reiseroute!
Da
sitzen wir Drei am Ende der Startbahn, lachend und schwatzend. Dann bricht
Caine auf. Alles Gute! Buen camino. Wir haben ihn nicht wieder getroffen. Unser
Platz liegt im Schatten des Caminos. Ich friere. Die Gaskartusche, Kaffeetassen
und alles andere werden in den Rucksäcken verstaut. Ab in die Sonne und weiter
des Weges! Es wird noch einmal anstrengend für mich, denn die Straße windet
sich steil nach oben. Ich ärgere mich über diese letzte, steile Strapaze.
„Kann
denn nicht die letzte Etappe wenigstens eben sein!”, jammere ich Christine was
vor, die behände vor mir herläuft.
„Mama,
jetzt komm! Lass das olle Gejammer! Es ist doch gar nicht mehr so weit”, ruft
Chris mir zu, ohne ihren Schritt zu verlangsamen.
Viele
Pilger tummeln sich auf der letzten Etappe
„Muss das denn so
steil hoch gehen?”, stöhne ich, ohne eine Antwort zu erwarten.
Ich
bleibe immer wieder für ein paar Sekunden stehen, um für die nächsten zwanzig
Schritte Kraft zu schöpfen. Eins, zwei, drei,..., hämmert es in meinem Kopf.
Vor zwanzig bleibst du nicht stehen und wenn du einen Krampf kriegst! Du gehst
weiter! Die letzte Etappe kratzt noch einmal an meiner schwachen Seite.
So
ist das mit dem Pilgern !, höre ich mal wieder mein
erfrischendes Stimmchen. Meinst du eigentlich, du kommst wie aus einem Ei
gepellt in Santiago de Compostela an? So ist das halt mit dem letzten Stück. Da
musst du eben noch einmal ran! Zeig deinem inneren Schweinehund eine lange
Nase; sage Om zu deinen Wadenmuskeln, die die Anstrengung nicht mögen. Krümme
deine Zehe, damit du die Stiche dort beim Laufen nicht spürst, und denke bloß
nicht an deine Schultern, die schon fast mit den Rucksackträgern verwachsen
sind! Das letzte Stück noch! Weiter!
Ich weiß momentan
nicht, ob ich mein inneres Stimmchen vermissen werde. Ich weiß im Moment nur,
dass es mich unendlich nervt! So geht der innere Dialog mit meinem Stimmchen
bis zur Anhöhe und dann habe auch ich Monte del Gozo erreicht! Hier oben gibt
es eine Herberge, die achthundert Pilger aufnehmen kann. Der Anblick der vielen
umzäunten Häuser erinnert mich an ein Indianerreservat. Von oben sehen sie wie
verschachtelte Fabrikhallen aus. Wir können auf Santiago, das noch fünf
Kilometer entfernt liegt, schauen. Ich sehe unser Ziel! Ein fast
unbegreiflicher Moment für mich. Wir sind gleich da! Nur, wo ist denn die
Kathedrale? Kathedralen ragen doch immer über die Stadtdächer hinaus, denke
ich. Obwohl wir auf Santiago herunter schauen, kann ich sie nirgends entdecken
und Chris sieht sie auch nicht. Dann führt der Weg runter, unserem Ziel
entgegen. Wie in Trance laufen wir Santiago de Compostela entgegen. Und dann
das Stadtschild! Ich kann es nicht glauben. Wir sind angekommen, ob all der
Strapazen! Wir haben es geschafft! Santiago de Compostela hat zwei Pilger mehr!
„Chris, komm! Stell
dich unter das Ortsschild. Ich möchte ein Foto machen, damit auch alle zuhause
glauben und sehen können, dass wir in Santiago angekommen sind.”
Klick,
das Foto ist im Kasten. Unser dreihundertsechzigstes Foto! Wir sind in
Santiago!
Nicht
nur der Camino de France, den wir bis hierher gegangen sind, zählt zum
Weltkulturerbe. Seit 1985 gehört Santiago de Compostela auch dazu und das Bild
der Kathedrale ist auf den kleinen Euro-Cent-Münzen Spaniens gedruckt. Aber, wo
ist denn jetzt die Kathedrale? Wir laufen ungefähr drei Kilometer durch die
Stadt. Von einer Kathedrale ist nichts zu sehen! Und bevor ich denken kann,
geht mein innerer Schweinehund schon wieder mit mir durch.
Camino
de Santiago de Compostela
„Jetzt laufen wir die
ganze Zeit durch die Stadt und finden keine gelben Pfeile mehr. Wo ist denn nur
die Kathedrale, Chris?”
„Das
weiß ich doch auch nicht! Vielleicht hinter dem Berg”, meint sie.
„Was?
Dahinter? Da noch hoch? Ich will nicht mehr! Ich bin
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