Cafe con Leche
wir unseren letzten Abend in der Küche und plaudern.
Gegen zweiundzwanzig Uhr begeben wir uns zu Bett. Ich bin wie aufgedreht und
das Einschlafen fällt mir schwer. Zu viele Gedanken schwirren mir durch den
Kopf. Ich denke an die Heimreise, die wir morgen unweigerlich antreten müssen.
Im Portemonnaie herrscht Ebbe. Chris hat nur noch circa achtzig Euro. Wir
werden die fast zweitausend Kilometer bis nach Hause trampen müssen. Ich
vertiefe den Gedanken nicht, weil ich nicht an die Strapazen denken möchte.
Auch will ich nicht daran denken, was alles passieren kann! So sitze ich im
Bett, die Landkarte vor mir liegend und suche nach Autobahnen, die uns Richtung
Frankreich bringen können. Ein weites Stück bis dorthin! Mein Gott, das sind
wir alles gelaufen!
„Mama,
lass uns schlafen!”, höre ich Christine sagen.
„Du
hast recht, aber ich bin total aufgedreht. Dann lass uns mal schlafen! Morgen
geht es nach Santiago! Gute Nacht, Chris.”
„Gute
Nacht, Mama!”
Unruhig
drehe ich mich von eine auf die andere Seite.
Irgendwann schlafe ich doch noch ein. Aber mein Schlaf währt nicht lange! Mir
ist, als zerre irgendetwas an meinem Kopfkissen. Noch im Halbschlaf; das
Gleiche. Das Zerren ist so stark, dass ich nun hellwach bin. Christine kann es
nicht sein. Sie schläft über mir. An meinem Kopfende befindet sich ein
Mauervorsprung. Aber von da kann auch keiner, der vielleicht von meiner
Schnarcherei genervt ist, an meinem Kopfkissen zerren. Was also hat da an
meinem Kopfkissen so gezerrt und gezogen, wie ein Hund, der an seinem Spielzeug
hängt und es nicht abgeben will. Hier ist ein Nagetier oder Gott weiß was,
schießt es mir durch den Kopf. Schlagartig bin ich nun hellwach, lege das
Kissen an mein Fußende, hole meine Schreibutensilien in der Dunkelheit aus dem
Rucksack und verlasse fluchtartig meine Schlafstätte. Nichts wie weg! Hier
schlafe ich nicht weiter. Hier spukst! Trotz meiner Angst schleiche ich mich
auf Socken die Treppe hinunter in die Küche. Aber hier finde ich es in dieser
Stille auch unheimlich. Chris hat mir gestern Abend erzählt, dass, während sie
die Nudeln gekocht hat, irgendetwas durch die Küche gehuscht sei. Ich habe das
mit einem Wink abgetan und ihr gesagt, dass auf dem Hof auch öfters Mäuse im
Keller zu sehen waren. Nun sitze ich hier in der großen Küche
mutterseelenallein. Die Dunkelheit, die mich durch die riesengroßen Fenster
anstarrt, ist mir unheimlich. Aber ich will nicht zurück ins Bett! Da ist es
noch unheimlicher. Der Gedanke, ein Tier könne an meinem Kopfkissen gezogen
haben, lässt mich frösteln. Knarrende Geräusche kommen von der Küchendecke. Es
hört sich an, als versuche jemand, einen Stecker in eine Steckdose zu stecken.
Ich habe keine Uhr dabei und weiß nicht, wie spät es ist. Lieber Gott, lass es
bitte bald morgen werden. Ich habe Angst und will hier weg! Meine Blicke
wandern immer wieder zu den großen Fenstern. Was, wenn da plötzlich ein Gesicht
auftaucht?
Quatsch !, sagt mir mein Verstand.
Angst !, sagt mein Gefühl. Wie erstarrt sitze ich am Tisch und
meine Ohren sind wie die eines Luchses aufgestellt. Der große, amerikanisch
aussehende Kühlschrank ächzt vor sich hin. Obwohl er sehr neu aussieht,
schnauft und ächzt er, als sei er einhundert Jahre alt. Der kriegt bestimmt
gleich einen Herzinfarkt, so wie der arbeitet! Ich stelle mir alles Unmögliche,
das passieren könnte, möglich vor. So etwas ist mir in all den Herbergen noch
nicht passiert. Aber in der letzten Nacht vor Santiago de Compostela Muss so
etwas passieren! Der Gedanke, ein Nagetier könne sich in meinem Bett wohlfühlen
obsiegt und ich bleibe trotz meiner Angst in der Küche sitzen. Unmengen von
Fliegen toben sich an meinen nackten Beinen aus. Die sollten lieber schlafen,
anstatt mich so unangenehm zu kitzeln und zu nerven! Doch die Fliegen sind in
Aktion. Sie brummen herum oder sitzen brummend aufeinander. Das Generve mit den Fliegen bin ich leid! Ich nehme die Landkarte und bedecke meine
Beine damit. Gut, dass ich die Zigaretten dabei habe. Obwohl Rauchverbot
herrscht, stecke ich mir eine an und öffne das Fenster, damit der Rauch
abziehen kann. Wie früher auf den Klassenfahrten, denke ich. Heimliches
Rauchen. Schnelles Ziehen an der Zigarette. Nur nicht erwischt werden!
Plötzlich
öffnet sich die Küchentür und ein junger Bursche kommt herein. Ihm ist speiübel
und er hat Magenschmerzen. Ob ich einen Tee für ihn habe, fragt er mich. Zu
mindestens verstehe ich das, denn
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