Cafe con Leche
keine Pilgerurkunde ausstellen
wird? Schweigend schaut er mich an, dann studiert er über seinen Brillenrand
hinweg wieder den Ausweis.
„Sie
sind mit dem Bus gefahren?”, fragt er.
„Ja”,
sage ich zaghaft und voller Panik, damit mein
Todesurteil gefällt zu haben.
Die
anschließende Stille dauert für mich eine Ewigkeit. Bitte, lieber Gott! Lass
ihn unser Pilgern beurkunden!
Während
sein Blick noch auf meinen Pilgerausweis ruht, führt er ganz langsam, wie in
Zeitlupe, seine Hand zum Stempel und dann habe ich meinen Stempel im
Pilgerausweis. Mein Herz jubiliert! Jetzt holt er die La Compostela, wie die
Pilgerurkunde auch heißt, und schreibt meinen Namen in Lateinisch darin nieder.
Ferner trägt er Datum, Monat und das Jahr darin ein. Dann überreicht er mir die
Compostela. Ich kann es nicht glauben, nicht begreifen!
Ich halte die Urkunde
in der Hand, auf der mein Name steht! Ich hätte nicht gedacht, dass ich darüber
so glücklich sein kann! Nun nimmt er sich Christines Pilgerausweis an. Diesmal
geht alles viel schneller. Es scheint mir zumindest so. Auch Chris hält nun
ihre Compostela freudestrahlend in der Hand.
Als
wir die Gasse betreten, sind wir keine Pilger mehr. Oder wie es hier in Spanien
so schön heißt: Wir sind keine Peregrinos mehr. Mit der Aushändigung der
Compostela ist für jeden die Pilgerschaft beendet. So nehmen wir unsere
Jakobsmuschel, die außen an unseren Rucksäcken hängt, und stecken sie in unser
Gepäck, damit sie auch wohlbehalten zuhause ankommt. Ich bin glücklich und
umarme Christine.
„Herzlichen
Glückwunsch, wir haben es geschafft!”, sage ich zu ihr, gebe ihr einen Kuss auf
die Wange und drücke sie herzlich. Ich fühle mich total beflügelt, so, als sei
eine große Last von mir gefallen. Auch Chris strahlt!
Doch
für Andacht und sich freuen, ist nicht viel Zeit, denn wir werden von den
Menschenmengen um uns herum mitgerissen. Stehen bleiben ist unmöglich! Hier ist
was los! Hier ist es fast wie auf einem Jahrmarkt. Mir behagt diese Atmosphäre
nicht und auch Chris scheint es so zu ergehen.
„So
kommerziell und laut habe ich mir das hier nicht vorgestellt”, sagt Chris.
„Ich
auch nicht”, erwidere ich. „Da war doch mancher Ort, durch den wir gekommen
sind, andächtiger. Da habe ich mich wenigstens als Pilgerin gefühlt.”
„Ich
auch!”, meint Chris.
Auf
Schritt und Tritt werden wir von Händlern angesprochen, die uns Souvenirs oder
Übernachtungen verkaufen wollen. Meine Euphorie mischt sich mit Unbehagen.
Ständig bin ich dabei, irgendeinen Händler, der mir was verkaufen will,
abzuwehren.
No,
no! Gracias! No, no, sage ich immer wieder. Die Leute kommen förmlich auf uns
zu gerannt, um ihre Ware feilzubieten. Habe ich doch gedacht, wir ziehen in
eine andächtige Stadt! Stattdessen Jubel, Trubel! Aber da denke ich ja wohl
ziemlich blauäugig und bin in der Hinsicht wohl auch sehr naiv. Sei es in
Santiago de Compostela, in Lourdes, in Fátima oder selbst hier bei uns in
Kevelaer. All diese Wallfahrtsorte, denen eine religiöse Bedeutung beigemessen werden , leben gerade von den Pilgern und vom Tourismus. Da
kommt die Andächtigkeit leider manchmal abhanden. Das ist die Kehrseite der
Medaille.
Mit
unseren achtzig Euro können wir uns noch nicht einmal eine Übernachtung
leisten, denn die Preise sind hier um das Vierfache gestiegen. Das würde die
Hälfte unseres noch vorhandenen Budgets verschlingen. So suchen wir die
Stadtbibliothek auf. Chris versucht dort im Internet über den Hospitalityclub
jemanden zu finden, bei dem wir unentgeltlich nächtigen können. Fehlalarm! Wir
erreichen keinen und so beschließen wir, der Stadt umgehend den Rücken zu
kehren, um uns auf den Heimweg zu begeben.
Zweitausend
Kilometer liegen vor uns!
Achtzig
Euro sind im Portemonnaie.
Deutschland,
wir kommen!
21. Juli 2008
Unsere
Heimreise — Ein Abenteuer für sich
So stehen wir gegen
fünfzehn Uhr auf der Rua Do Vilar gegenüber der Bibliothek. Wir haben noch
Baguette, Käse und Tomaten. Chris macht uns was zu essen. Ich verdränge den
Gedanken an die Heimreise, denn sonst kann ich schon gar nichts mehr essen. Ich
verdränge auch den Gedanken, wie wir es nach Hause schaffen sollen. So mümmel ich das belegte Baguette in mich hinein. Du musst
essen, sage ich mir. Sonst ist dir gleich noch übel, weil du heute Morgen auch
nicht so viel gegessen hast.
Die
Sonne, meine dicke Freundin, lacht in ihrer ganzen Größe vom Himmel herab. Sie
meint es
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