Cafe con Leche
Rucksack und gehe anschließend in die Küche. Dort koche
ich mir einen Kaffee und setze mich in einer windgeschützten Ecke nach draußen
vor dem Eingang auf eine Bank. Mit dem Tagebuch in der Hand!
Santiago
de Compostela liegt neunzehn Kilometer entfernt. Morgen werden wir das Ziel
unserer Pilgerreise erreichet haben. Zuerst kaum vorstellbar für mich, ja, fast
unerreichbar, sitze ich heute hier in Arca O Piño und es sind nur noch neunzehn
Kilometer! Dann sind wir da! Mein Gott, ich kann es noch gar nicht begreifen!
All die Strapazen, all die kalten Nächte im Zelt, die steilen Pyrenäen, die
langen Tagesmärsche, die teilweise bis an meine körperlichen und psychischen
Grenzen gingen. Die unerträglich heiße Region der Meseta, die mir des Öfteren
das Gefühl gab, mich in der Wüste zu befinden. Chris mit ihren ständigen Magen-
und Darmverstimmungen in den feuchten, kalten Nächten im Zelt. Ich mit meinen
inneren Schweinehunden, die mich oft nicht in Ruhe ließen und ihre Klappe nicht
halten konnten. Und nicht zu vergessen; besonders mein Keuchen und Stöhnen, das
mich den ganzen Weg über begleitet hat! Ich bin mit meiner Tochter, abgesehen
von den Busfahrten, fast siebenhundert Kilometer den Camino gelaufen. Wir haben
uns wirklich geschunden! All das wird morgen in Santiago de Compostela ein Ende
haben!
Während
ich das niederschreibe, spüre ich doch einen Anflug von Stolz aufkommen. Nein,
nicht nur einen Anflug! Ich bin einfach stolz auf das, was Christine und ich
geschafft haben. Sie, die mich immer wieder ermuntert hat, weiterzugehen. Die
oft mein Gejammer so stoisch ertragen hat. Die oft den mir verhassten Satz:
Mama, geht’s ?, gesagt hat. Die mich oft mit ihrem
Satz: Mama, du schaffst das !, unterstützt hat. Ich
weiß, dass ich ohne sie diesen Weg nie gegangen wäre! Nicht alleine! Ich danke
ihr für die wunderbare, manchmal auch stressige Zeit, die wir vier Wochen
miteinander verbracht haben. Ich bin froh, Situationen erlebt zu haben, in
denen wir auseinander gedriftet sind und doch wieder zueinander gefunden haben.
Das war wohl unser innerer Weg, den wir beide gegangen sind. Ich habe
schmerzlich feststellen müssen, dass das, für mich ach so gut gemeinte, nicht
gleichzeitig auch gut für meine Tochter sein muss. Sie ist ein eigenständiges
Individuum. Sie wird ihren Weg gehen! Ich habe auf diesem Weg erkannt, die
allzu mütterliche Fürsorge gegen Vertrauen zu meiner Tochter einzutauschen. Das
ist zwar immer noch nicht so leicht für mich. Will ich doch noch irgendwie das
Beste für mein Kind. Aber es ist die Erkenntnis, die ich im wahrsten Sinne des
Wortes, Schritt für Schritt, auf diesem Weg erfahren habe. Meiner Tochter zu
vertrauen!
So
sitze ich fast schon euphorisch vor meinem Tagebuch, rauche eine Zigarette und
trinke den löslichen Kaffee, der bei Weitem immer noch nicht so gut schmeckt,
wie eine leckere Tasse Café con leche. Unterwegs kam mir oft der Satz in den
Sinn: Der Weg ist das Ziel. Aber ich habe mich damit schwer getan. Mir ist der
Satz immer noch unverständlich. Irgendwann, kurz vor Galicien, habe ich für
diesen Satz einen Kompromiss gefunden. Das Beschreiten des Weges ist der Beginn
einer Veränderung, und wenn du dich darauf einlässt, führt diese Veränderung
zum Ziel! Das ist für mich verständlicher. Damit kann ich gut umgehen. Das hat
mir auch, im wahrsten Sinne des Wortes, das Laufen erleichtert, obwohl mein
Rucksack mich jeden Tag spüren ließ, dass er schwer auf meinen Rücken wog. Es
gab Tage, wo dieser der Erdanziehungskraft sehr zugeneigt war. Tage, an denen
ich mit hängenden Flügeln, laut meinen Atem hörend, Schritt für Schritt, vorn
übergebeugt des Weges ging. Aber bis hier hat er all meine Utensilien getragen.
Auch bin ich davon überzeugt, dass Christine den Ansatz einer innerlichen
Veränderung in ihrer Weise vollzogen hat. Sie ist nicht der Mensch, der
Veränderungen verbalisiert. Sie macht das eher im Stillen. Auch das ist etwas,
dass ich auf diesem Weg lernen musste, zu akzeptieren. Dann sind da meine Füße,
die keine einzige Blase zuließen. Die jedem Felsen, Stein und Geröll trotzten.
Bei denen bedanke ich mich besonders! Und auch el sol, die ein großes Herz für
mich hatte, gilt mein Dank!
Was
soll das nun werden? Eine Danksagung ?, kommt mir in
den Sinn.
El
sol begibt sich zur Ruhe und es wird kühler. Die Wäsche ist mittlerweile
trocken. Ich hänge sie ab. Chris und Juan sind auch wieder da und wir gehen ins
Haus. Gemeinsam verbringen
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