Café der Nacht (German Edition)
Hirnhälfte betroffen war, konnte er nicht mehr sprechen. Bisher zeigte er auch keine eindeutige Reaktion, wenn man ihn ansprach. Er war schwer gezeichnet, die rechte Hand und der rechte Fuß unbequem verdreht. Seine grauen Augen waren stur schräg nach links gewandt, er glotzte idiotisch ins Nichts. In der Reha würde man versuchen, ihm zumindest einen Bruchteil seiner alten Fähigkeiten neu beizubringen. Dennoch war die Chance, dass er sich je wieder ohne Rollstuhl fortbewegen könnte, gering. Wahrscheinlich würde er bis an sein Lebensende in einer Pflegeeinrichtung versorgt werden müssen. Maxim hörte sich alles gefasst und ruhig an. Alles, was er wollte, war weg von hier. Er wollte aufstehen, durch diese klinisch weiße Tür gehen, in den nächsten Zug nach München steigen, und vergessen, was vorgefallen war. Er wollte keine Entscheidungen treffen, nichts unterschreiben, sich nicht kümmern, sich nicht informieren müssen. Er wollte kein guter Sohn sein. Aber natürlich war er das doch. Am Nachmittag rief er bei Dela an und sagte, dass es noch dauern würde, bis er zurückkehren könnte. Sie sollte sich besser nach einer Aushilfe umsehen. Und er fragte bang, ob es etwas Neues gäbe über Monroe.
„Mach dir keine Sorgen“, sagte Dela nur. „Ich bin sicher, er kommt zurück.“ Doch etwas in ihrer freundlichen Stimme sagte Maxim, dass sie davon selbst nicht überzeugt war.
* * *
Dela stand am Fenster und starrte in einen strahlendblauen Mittagshimmel hinaus. Unten liefen die Vorbereitungen für die alljährliche Silvesterfeier, dabei war ihr nach allem zumute, nur nicht nach feiern. Glitzernder Schnee schmiegte sich wie ein Kleid an die kahlen Zweige der Kastanie vor ihrem Fenster. Lachen erfüllte das Haus so kräftig wie der Duft von Zimt, Tannenzweigen und Orangen, der noch von Weihnachten übrig geblieben war. Sie wandte sich um und betrachtete das Portrait, das Darius ihr hinterlassen hatte. Dann ging sie zur Kommode und zündete, so wie jedes Jahr, Kerzen an für die Verstorbenen. Für ihre Eltern, für Lola. Diesmal zum ersten Mal auch für Darius. Leise sprach sie ein Gebet.
Rufus klopfte an die halboffene Zimmertür und trat ein. „Kommst du mal kurz mit runter?“
„Ja, natürlich.“ Doch sie zögerte. Als er sich schon zum Gehen wandte, fragte sie in die Stille hinein: „Habe ich es falsch gemacht, mit Ariel?“
Rufus blieb stehen und sah sie unverwandt an. Dann schüttelte er den Kopf. „Es war seine Entscheidung, auszuziehen. Wenn überhaupt jemand etwas dafür kann, dann Monroe.“
„Nein, das ist nicht seine Schuld. Gott weiß, er hat genug für ihn getan. Weit mehr, als ich erwartet hatte.“
„Warum war Ariel eigentlich so auf Vida fixiert?“
Dela antwortete darauf nicht direkt. „Hast du ihr Zimmer schon ausgeräumt?“
„Alles weg, ganz, wie du wolltest. Bist du sicher, dass ...“
„Absolut sicher. Vida kommt nicht zurück.“
„Das wird hart für Ariel.“
Delas Miene war unbewegt. „Jetzt ist er fort und ich kann überhaupt nichts für ihn tun.“
„Klar kannst du das. Er ist ja nicht aus der Welt. Die Wallerhoven wird sich gut um ihn kümmern. Schließlich verdient sie an ihm gutes Geld.“
Dela seufzte leise. Sie blies die Kerzen aus und ging zu Rufus hinüber. „Gut, dann lass uns mal hinuntergehen.“ Sie verschloss all ihre Sorgen und belastenden Gedanken in sich, so wie sie es immer tat. Doch sie hatte ein ungutes Gefühl, das sich allem Optimismus beharrlich widersetzte, wenn sie an das kommende Jahr dachte. Sie spürte eine dunkle Vorahnung in sich, die ihr Angst machte, und Dela war gewiss kein ängstlicher Mensch.
* * *
Am zwölften Januar war in Bayreuth der Schnee fast vollständig geschmolzen, doch in der Luft lag bleicher Frost. Das nahe Fichtelgebirge hielt die Kälte in der Region.
„Ich habe Tilmann Öchsle als Geschäftsführer eingesetzt“, wagte Maxim schließlich auf den letzten Drücker das Gespräch mit seinem Vater. Friedhelm Meinig saß im Rollstuhl in der Eingangshalle der Villa, eine Decke über den Beinen, und glotzte ausdruckslos nach links.
„Ja, ich weiß, du hältst ihn für einen Weichling“, fuhr Maxim unbehaglich fort. „Aber er ist ein anständiger Kerl. Er wird die Firma in deinem Sinne weiterführen. Mehr kann ich nicht tun.“ Das war natürlich eine Lüge, und Maxim wusste das. Er hätte eine Menge tun können. Zum Beispiel das, worauf sein Vater ihn sein Leben lang vorbereitet hatte. Die
Weitere Kostenlose Bücher