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Café der Nacht (German Edition)

Café der Nacht (German Edition)

Titel: Café der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Julieva
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einander antaten. Es war weitaus leichter, zu vergeben, als zu vergessen. Und selbst zum Vergeben hatte es Monroe bisher noch nicht gebracht.
    Er erinnerte sich intensiv an den Gestank von Londons vergessenen Straßen. Die bittere Trostlosigkeit. Keine Zukunft. Zwei Jahre lang hatte er für Lola gesorgt, so gut es einem Kind möglich war. Er war neun gewesen, als diese Kerle Lola vor seinen Augen totgeprügelt hatten. Einfach so, weil sie um ein lausiges Pfund gebettelt hatte und sie fanden, dass sie ein abstoßendes Stück Scheiße war. Der eine hatte ihn weggedrückt und er hatte ihr nicht helfen können. Hatte zusehen müssen, wie sie brutal auf sie eingeschlagen, eingetreten hatten, bis sie keinen Mucks mehr von sich gegeben hatte. Er hatte sich freigekämpft, nur, um von der Faust eines Grobschlächtigen außer Gefecht gesetzt zu werden. Die Hilflosigkeit trieb ihm noch heute verzweifelten Zorn in die Augen. Er hatte sich geschworen, niemals wieder hilflos zu sein. Selbst wenn er geredet hätte, als er damals auf dem zu hohen Stuhl in der Polizeistation gesessen hatte, die Kerle hätten sie niemals geschnappt. Doch er hatte nicht reden können, nicht flennen, nicht denken. Tagelang kam kein einziges Wort über seine Lippen. Diese abartig mitfühlende Psychologentante hatte ihm keine Ruhe gelassen, bis er ihr ins Gesicht gespuckt hatte. Im Grunde hatte sich doch niemand wirklich für den Fall interessiert. Was machte es schon, eine Junkie-Hure weniger auf den Straßen?
    „Es wird alles wieder gut“, hatte Dela gesagt, als sie ihn schließlich abgeholt hatte. „Dieser Albtraum liegt jetzt hinter dir, Tintin. Ich verspreche es.“
    „Tintin!“
    Monroe schrak zusammen, als Gypsys melodische Stimme ihn gedämpft vom Flur her rief . Er drehte sich um und verließ so hastig das Zimmer, als könnte er alle Gedanken an Lola darin zurücklassen.
     
    * * *
     
    Gypsy sah ihn abwartend an, als er den leeren Teller von sich schob. Reste von dunkler Soße schimmerten auf dem getöpferten Geschirr. „Also? Was bringt dich zu mir?“
    „Vielleicht hast du mir gefehlt.“ Er grinste.
    „Natürlich habe ich das.“ Sie schmunzelte. „Ich denke oft an dich. Ich habe ein Foto von euch auf meinem Kaminsims. Wie eine alte Tante.“
    „Skandalös.“
    „Hast du Kontakt zu deinem Vater?“
    Er warf ihr nur einen vielsagenden Blick zu. „Wird das ein Verhör?“
    „Man nennt das Konversation. So etwas machen Menschen gelegentlich.“
    Der rauchig-süßliche Geruch von brennenden Holzscheiten erfüllte den Raum. Für einen Moment lang dachte Monroe, dass Gypsy es genau richtig gemacht hatte, sich hier zur Ruhe zu setzen, im Niemandsland außerhalb der Zeit, fern von der hektischen Welt. Es war friedlich hier. Er hätte nie gedacht, dass friedlich ihm gefallen könnte. Es musste schön sein, in Ruhe gelassen zu werden. Niemand wollte etwas von einem, niemand ging einem auf die Nerven.
    „Du bist doch nicht schon wieder weggelaufen?“, scherzte Gypsy. „Ich erinnere mich noch gut daran, als du vierzehn warst und plötzlich die Polizei vor meiner Tür stand.“
    „Keine Sorge. Die hetzt mir so schnell keiner mehr auf den Hals.“
    Sie betrachtete ihn nachdenklich und trank von ihrem tiefroten Burgunder. „Ich war genau wie du. Ich war mein Leben lang auf der Flucht. Wir sind uns sehr ähnlich, und das tut mir leid für dich.“
    „Das ist Schwachsinn, Gypsy.“
    „Nein, das meine ich ernst. Wenn du in meinem Alter bist, wirst du es verstehen.“
    „Hope I die before I get old.“ Er zwinkerte ihr zu.
    Gypsy lachte. „Irgendwann wirst du etwas finden, für das es sich zu leben lohnt. Oder jemanden.“
    Er rollte die Augen. „Das ist konventioneller Bockmist.“
    „Nein, das ist menschlich. Tief vergraben in unseren Genen. Wir sind Herdentiere.“
    Er wies demonstrativ auf das leere Zimmer. „Wie ich sehe, lebst du allein.“
    „Ah.“ Sie lächelte. „Aber du musst meine Fehler nicht nachmachen. Ich wollte allein sein. Jetzt kann ich nicht mehr anders. Ich bin zu sehr daran gewöhnt.“
    Monroe wollte nicht an Vida denken, nicht an Max und seinen verdammten Kuss. Er rieb sich die Augen. Gypsy war jeden Tag in eine neue Rolle geschlüpft, von ihr hatte er es gelernt. Gelernt, ganz zu sein, was er gerade darstellte, sich darin zu verlieren. Doch nun, hier in dieser Einöde, schien sie sich gefunden, eine feste Form angenommen zu haben. Für ihn waren diese Rollenspiele auch vorbei. Finito. Er hatte die Schnauze

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