Café der Nacht (German Edition)
gesehen hatte. Das Publikum tobte vor Begeisterung, gab spontanen Szenenapplaus. The Scottish Play , wie es die Schauspieler abergläubisch bezeichneten, da das Aussprechen des wahren Namens Unglück bringen sollte, war schon kurz nach der Premiere restlos ausverkauft. Maxim jedoch hatte keinerlei Probleme, sich das blutrünstige Drama an seinen freien Abenden immer wieder anzusehen. Er war so oft hinter der Bühne und mit dem Ensemble zusammen, dass man ihn offiziell als Glücksbringer adoptiert hatte. Zu seinem größten Erstaunen traf er dort Leander wieder. Florentine, die mit Renate aus der Kostümschneiderei befreundet war, hatte ihm zu einem Nebenjob als Inspizient verholfen. So saß der Musikdramaturgiestudent an manchem Abend an seinem Arbeitsplatz hinter dem Bühnenrand, vor sich zwei Monitore, zwei Mikrofone und ein Pult mit einer Unzahl kleiner bunter Knöpfchen. Maxim liebte es, ihm Gesellschaft zu leisten. Er fand es spannend, zu beobachten, wie Leander der Technik die Zeichen für das Licht gab, dem Schnürboden Anweisung für den Vorhang und die Umbauten, wie er die Schauspieler zum Einsatz auf die Bühne rief. Wenn etwas schief lief, war Leander die erste Anlaufstelle, und es lief doch immer wieder erstaunlich viel schief, von dem das Publikum nichts mitbekam. Einmal war unerklärlicherweise plötzlich das Theaterblut unauffindbar und sie mussten auf Sprühfarbe zurückgreifen. Ein andermal holte sich Macduff hinter der Bühne durch eine unglückliche Bewegung einen furchtbaren Hexenschuss und konnte kaum noch aufrecht stehen. Damit Macbeth am Ende nun nicht doch den Sieg davontrug, musste kurzerhand der Darsteller des Duncan einspringen und in Windeseile das Kostüm anziehen. Er bekam einen Helm auf den Kopf und lavierte sich irgendwie durch die letzte Kampfszene, obwohl er den rasanten Schwertkampf mit Monroe nie trainiert hatte. Dass das im Nachhinein unter den Schauspielern für viel Gelächter sorgte, war klar. Doch Leander hatte stets die Ruhe weg und wurde daher sehr geschätzt. Maxim half gerne und schaute mit in das dicke Textbuch, an dessen Rand verschiedenfarbige Punkte klebten, die dem Inspizienten sagten, wann er was zu tun hatte.
Manchmal durfte Maxim vor Vorstellungsbeginn über die Haussprechanlage die Schauspieler zur traditionellen Versammlung rufen, die im Haus üblich war. „Guten Abend, es ist Viertel nach sieben. Das Scottish-Play -Ensemble bitte zur Bühne!“ Auf dem Monitor konnte er dann verfolgen, wie sich die Damen und Herren nach und nach hinter dem Vorhang einfanden, wie die einen untereinander scherzten, während andere mit konzentrierten Mienen dastanden. Monroe grinste dann in die Kamera, die das Bild übertrug, und hob die Hand zum Gruß. Er sah in seinem schwarzen Macbeth-Kostüm so schneidig aus, dass Maxim kaum an sich halten konnte. Inzwischen hatte er es endgültig eingesehen. Er war verliebt, haltlos, hoffnungslos. Jeder Versuch, Monroe nicht zu lieben, wäre ebenso zum scheitern verurteilt gewesen, wie der Versuch, nicht mehr zu atmen. Maxim wusste seine Hormone kaum zu bändigen, aber er tat alles dafür, dass Monroe nichts davon mitbekam. Er wusste nicht zu sagen, was Monroe für ihn empfand. Er wollte sich auf keinen Fall blamieren, oder, noch schlimmer, ihn nochmals vertreiben, wie er es getan hatte, als er ihn in Vidas Kostüm geküsst hatte.
Maxim liebte die staubige Theaterluft, die Kostümbildnerei, die vollgestopfte Schatzkiste der Requisite, die Maske, in der Erika seit zwölf Jahren ihre Pappenheimer betreute und immer zu einem Plausch aufgelegt war. Dort roch es nach Puder und Make-up, Perücken thronten auf Styroporköpfen, Masken von vergangenen Produktionen zierten die Wände. In solchen Momenten erwägte er selbst, eine Karriere hinter der Bühne einzuschlagen, wovon Florentine natürlich begeistert war, als er es erwähnte. Er konnte besser denn je verstehen, warum Monroe seinen Beruf so liebte. Das Bühnenvolk war einfach ein besonderer Menschenschlag. Jeder, der hier arbeitete, vom Hausschreiner bis zum Beleuchter, konnte sich keinen schöneren Beruf vorstellen. Hinter den Kulissen, fand Maxim, war das Theater doppelt so spannend. Nach der Vorstellung waren die Akteure so aufgeputscht von Energie, dass es ihnen unmöglich gewesen wäre, einfach nachhause und zu Bett zu gehen. Also wurde gefeiert, oft im Café der Nacht, bis in den frühen Morgen. Im fahlen Tageslicht war das Alltagsleben nur halb so interessant, und alles sehnte sich nur
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