Café der Nacht (German Edition)
augenzwinkernd verraten und reibeisern gelacht, „dann sagst du nur noch ein Servus. Und zwar mit dem Knarren deines Sargdeckels.“
„Sehr morbide.“
„Mit fünfundsiebzig ist das ganze Leben morbide, mein junger Spezi.“
So begann die Abschiedszeit. Aus den Kronen der spätsommerlich ausgedörrten Bäume taumelten erste Blätter. Mit jedem Bewohner, der ging, wurde das alte Haus stiller. Merlyn und Maxim waren die beiden letzten Pensionsbewohner. Er packte mit an, die schwere Plattensammlung des Pianisten hinunterzuschleppen, die bunten Tücher von den Wänden zu nehmen, bis nur noch ein kahler Raum zurückblieb. Fadil, der sich das alte, rostige Auto eines Freundes geborgt hatte, das nun bis unters Dach mit Merlyns Habseligkeiten beladen war, drückte Maxim zum Abschied die Hand und klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken.
„Unsere Wege kreuzen sich wieder“, sagte Merlyn dicht an seinem Ohr, als er ihn umarmte. „Das weiß ich genau.“ Merlyn ging fort aus München, und Maxim wusste, er würde dasselbe tun.
Am Vorabend seiner eigenen Abreise saßen Rufus und Maxim noch ein letztes Mal im Gewölbe beisammen und tranken ihren Rotwein, wie sie es so oft nach der aufreibenden Arbeit getan hatten. Doch nun waren sie nur müde davon, Möbel beiseite zu rücken, Gläser zu verpacken und Schränke auszuräumen. Alles war anders, so kalt und still. Es war seltsam, zu wissen, dass sie die beiden einzigen im Haus Verbliebenen waren. Maxim dachte an die dunkle Mansarde, einen Moment das grausige Bild von Ariel vor Augen, wie er vom Balken baumelte. Es schüttelte ihn eisig. „Alles vorbei“, sagte er mehr zu sich selbst, tonlos.
„Wird sich schon was Neues finden. Hast du dich jetzt endlich entschieden, was du studieren wirst?“
„Theaterwissenschaft.“ Maxim lächelte leicht. „Und du wirst staunen, ich habe alles vorbereitet diesmal. Ich habe sogar schon einen Platz im Studentenwohnheim.“
„Na sieh mal an. Da wird ja jemand noch richtig erwachsen.“
„Wird sich wohl nicht umgehen lassen. Nicht mehr.“
„Kopf hoch, Kleiner. Das passiert uns allen irgendwann.“
Maxim stürzte den letzten Schluck Wein aus seinem Glas und leckte sich die Lippen. Sie schwiegen eine Weile. „Machst du es, oder soll ich es machen?“, fragte er schließlich.
Rufus sah ihn an. „Mach du es“, meinte er leise.
* * *
Wie abgesprochen, war es Maxim, der am nächsten Morgen die Haustür hinter ihnen abschloss . Sie verabschiedeten sich knapp und unsentimental, wie es Rufus’ Art war, doch Maxim wusste, das Herz seines Freundes war ebenso schwer wie das seine, als sie in entgegengesetzte Richtungen auseinandergingen. Er warf noch einen letzten Blick auf das alte Haus mit dem windschiefen Dach, auf die Kastanie, und lächelte still. Dann machte er sich auf, seinen kleinen Koffer in der einen, Delas goldenen Schlüssel in der anderen Hand, die kleine Gasse entlang zum Varieté, wo Hummelig ihn bereits erwartete. Der alte Theatermann nahm den Schlüssel in Gewahrsam und schnäuzte sich heftig, während ihm die Tränen nur so aus den Äuglein rannen. Der Anblick dieses gewichtigen Patrons mit dem viel zu sensiblen Herzen heiterte Maxim fast ein wenig auf. Er fühlte sich seltsam erleichtert, sehr gefasst, als er sich schließlich aufmachte. Durch das ihm so vertraute Viertel mit den verwinkelten Gassen, ein Labyrinth, durch das er seinen Weg wie im Schlaf finden konnte. Durchgänge zu geheimnisvollen Hinterhöfen, hübsche Hausfassaden, nachlässige Verfallenheit von unbekümmertem Charme. All das blieb hinter ihm zurück. Vor ihm lag die Zukunft.
Das versteckte Grab
H E U T E
Maxim machte sich am späten Vormittag auf, um das Schloss derer von Rothenau zu besichtigen, wie er es Dela versprochen hatte. Der ausgeschilderte, geräumte Waldweg führte vom Dorf weg und gut zehn Minuten durch den tief verschneiten Spessartwald. Klarer Frost lag in der Luft. Es war wunderbar, romantisch, und Maxim konnte nicht genug von der frischen, reinen Waldluft bekommen. Je länger er lief, desto leichter wurde ihm ums Herz. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass seine Reise in die Vergangenheit abgeschlossen war. Als wäre sie von ihm weggefahren, wie Delas kleines, rotes Auto, und habe ihn in der Wirklichkeit zurückgelassen. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte er sich wieder wie er selbst. Unterwegs blieb er stehen, um ein flinkes Eichhörnchen zu beobachten, das wohl nach vergrabenen Bucheckern suchte. Sein
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