Café der Nacht (German Edition)
Künstler, nur um den Art Sales Index. Die Leute, die sie eingeladen hat, sehen Kunst allein als Prestigeobjekt und Geldanlage.“
„Fidelikus würden hier wohl keine zehn Pferde hineinbringen, was?“
„Nicht mal ein ganzes Gestüt.“
Sie waren beide merklich stiller auf dem Heimweg. Im unangenehm nach Schweiß und Schnapsfahnen stinkenden Bus standen sie im Gedränge zwischen Fremden. Schnaufend zwängte sich noch eine Fettleibige an der Haltestelle hinein und gab Maxim dabei einen Schubs, der ihn fast umfallen ließ. Daraufhin bemerkte ein anderer seine Behinderung und fuhr lautstark ein verschüchtertes Schulkind an: „Steh doch mal auf, wie’s sich gehört, und mach Platz für den Krüppel!“
Maxim fühlte sich, als hätte ihm jemand einen dumpfen Schlag in die Magengrube versetzt, als das Mädchen scheu die Flucht ergriff und alle Umstehenden ihn anstarrten. Der leere Sitzplatz schien ihn drängend anzuglotzen.
Vida sah ihm in die Augen. „Ich sehe hier keinen Krüppel. Du?“, meinte sie leichthin.
Maxim musste wider Willen lächeln. „Nein. Keiner in Sicht.“
Sie lächelten einander an. Unwillkürlich rückte er näher zu ihr. Er scherte sich nicht drum, dass der Platz nun beharrlich unbesetzt blieb. Die Blicke der anderen sah er nicht. Plötzlich war Maxim sich sicher, nun die Antwort auf die Frage zu haben, die er Monroe gestellt hatte. Vielmehr war es ein unerwartetes Gefühl von Wärme. Er konnte ihr vertrauen. Vida schien ihn besser zu verstehen, als je ein anderer Mensch zuvor. Als wäre sie eine verwandte Seele. Er atmete ihr Parfüm in jeder Kurve, die sie in seine Richtung drückte, und fühlte, heiß und überdeutlich, ihre unergründlichen Augen auf sich.
* * *
Es dauerte nicht lange, und Maxim hatte Vidas verschrobene, intellektuelle Freunde besser kennengelernt und seine Scheu ihnen gegenüber verloren. Es gab tatsächlich einige Blender darunter, aber auch wirklich faszinierende, schillernde Menschen. Nur wenige von ihnen besuchten gelegentlich das Café der Nacht. Dazu gehörten Sisko Walden, die Japanerin Pirouette und Fashionvictim Godehard, Godi genannt, der wie Pirouette zum Ensemble des Bayerischen Staatsballetts gehörte. Mit Sisko, einem zigarillorauchenden Schriftsteller, dessen linkes, mattes Augenlid sich nie ganz öffnen wollte, führte Maxim fesselnde Gespräche. Er sprach über das Schreiben wie über eine widerspenstige Geliebte, die einen zugrunde richtet, und von der doch nicht loszukommen ist.
Nach einem ihrer Züge durch Münchner Künstlerateliers saßen Maxim und Vida in einem Straßencafé der City für eine lange Weile in einträchtigem Schweigen. Die Sonne stach kräftig, doch ein lauer Wind umschmeichelte ihre Gesichter. Es duftete aromatisch nach Kaffee, und ein Versprechen davon, dass in dieser beschwingten Jahreszeit alles möglich war, schien in der Luft zu liegen. Dennoch war Maxim seltsam wehmütig zumute. Vida trug eine dunkle Sonnenbrille, doch er fühlte ihren Blick auf sich ruhen.
„Woran denkst du?“
„Ach, an nichts weiter.“
Sie lächelte leicht. „Du willst es mir doch erzählen.“
Maxim musste lächeln. Vida schien in seinen Augen, seinem Gesichtsausdruck lesen zu können, wie in einem Buch. In der kurzen Zeit, die er sie kannte, war sie seine Vertraute geworden. Eine wirkliche Freundin. Er konnte nicht sagen, wie viel ihm das bedeutete. Zum ersten Mal hatte er jemanden, der ihn verstand. Jemanden, der seine Gegenwart ebenso zu genießen schien, wie er die seinige. Maxims Herz schlug jedes Mal höher, wenn er Vida sah. Nur manchmal warnte ihn eine leise innere Stimme, dass er all dem vielleicht zu viel Bedeutung beimaß. Dass Vida ihm bereits wichtiger war, als sie es hätte sein dürfen. Maxim beobachtete die beiden Bienen, die geschäftig den Blumenkübel neben ihnen umschwirrten. Lieblicher Blütenduft wehte zart herüber.
„Manchmal bin ich fast neidisch auf Sisko“, gab er zu.
„Warum das?“
„Ich weiß nicht. Er sagt immer, er schreibt, weil er es nicht ertragen kann, nicht zu schreiben. Es ist, als ob das nicht nur ein Talent, sondern Teil seines Wesens ist. Weißt du, was ich meine?“
Vida nickte und neigte den Kopf leicht zur Seite, während sie behutsam den Zucker in ihrem Cappuccino verrührte. Sie nahm ihre Sonnenbrille ab. „Und so eine Leidenschaft vermisst du in deinem Leben.“
„Ich weiß, das ist Blödsinn.“
„Wieso ist das Blödsinn?“
„Ich meine bloß, ich kann nicht ewig
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