Café der Nacht (German Edition)
von Grüppchen zu Grüppchen geführt.
„Muss man den kennen?“
Vida schmunzelte. „Das musst du schon selber entscheiden. Schau dich in Ruhe um. Ich bin gleich wieder bei dir.“ Sie begann durch die Ausstellung zu schlendern, nach jemandem Ausschau haltend. Maxim folgte ihr mit den Augen und zog sich in eine Ecke zurück. Vida fand schnell , wen sie hier anzutreffen gehofft hatte. Maxim beobachtete, wie sie einem sympathischen älteren Herrn den alten Umschlag übergab. Er wirkte hocherfreut.
Jemand räusperte sich vernehmlich und bat um Aufmerksamkeit. Die Gäste fanden sich brav zu einem halbkreisartigen Pulk in der Raummitte zusammen, um die obligatorische Laudatio über sich ergehen zu lassen. Maxim war erleichtert, als Vida wieder an seiner Seite auftauchte, und noch erleichterter, dass sie Champagner für ihn mitgebracht hatte. Der Redner hangelte sich von Worthülse zu Phrase und wieder zurück. Von all den Fachausdrücken schwirrte Maxim schon bald der Kopf. Er frohlockte innerlich, als die gefühlten zehn Stunden des offiziellen Teils endlich überstanden waren. Während man sich rings um sie wie Aasgeier aufs Buffet stürzte, als wäre dies der eigentliche Grund, weshalb man gekommen war, machten Maxim und Vida sich in aller Ruhe daran, die Ausstellung anzusehen.
Die Bilder waren abstrakt. Mit grobem, fast ärgerlichem Pinselstrich waren wirre Linien und vage Formen hingeworfen, Farbflächen aufgespachtelt worden. Sinnige Titel wie „Indigo 1“ gaben wenig Auskunft darüber, was sie darstellen sollten. Maxim war enttäuscht.
„Was siehst du darin?“, fragte Vida, auf das großformatige, vor ihnen hängende Bild bezogen, vor dem sie stehen blieben.
Maxim zögerte, zu antworten. „Wenn ich ehrlich sein soll ... Eine Art wirrer Haufen von Gekritzel?“
„Gekritzel.“ Sie lächelte.
„Abstrakt, das ist nicht so mein Ding“, versuchte er sich zu rechtfertigen. „Weißt du, ich denke immer, mit etwas Übung könnten viele so etwas malen. Renoir oder Van Gogh dagegen, das ist wirklich groß. Das ist Kunst, die für sich selber spricht.“
„Verstehe. Du möchtest, dass das Werk dir erzählt, was es ist.“
„Ja. Genau das meine ich.“
„Manchmal konfrontiert uns Kunst auch mit der Fremdheit in uns selbst. Versuch nicht herauszufinden, was es bedeuten soll . Was bedeutet es für dich?“
Nachdenklich ließ Maxim seine Augen über die Linien, die Spritzer und Kleckse wandeln, über das Muster, das sie bei genauerem Hinsehen zu entwickeln schienen. Grautöne, sich in der Mitte verdichtend, dunkler werdend, dazwischengewischt blutendes Rot. „Es ist irgendwie ... wütend. Oder?“, kommentierte er vorsichtig. „Es drückt Eingesperrtheit aus“, fügte er nach einer kleinen Pause hinzu. „Das Licht hier oben und all die Schatten.“ Langsam kamen ihm seltsame Gefühle beim Betrachten. Es löste tiefes Unbehagen in ihm aus. „Nein, es ist verzweifelt. Es ist wie ein Schrei, den keiner hört.“ Er trat einen Schritt zurück und schwieg betroffen.
Vida sah ihn an. „Du wärst ein guter Kritiker, Maxim.“
„Ich? Oh Gott.“ Er lachte. „Ich habe doch keine Ahnung von so was.“
„Du siehst mit der Seele. Das findet man nicht oft.“
Ihre Blicke trafen sich kurz. Maxim schluckte. Ihm wurde ganz anders, wenn ihn die grünen Augen so intensiv betrachteten. „Lass uns weitergehen.“
Sie ließen sich Zeit, die Ausstellung auf sich wirken zu lassen. Je mehr Maxim sah, desto besser gefielen ihm Severins Werke. Sie hatten nahezu alles gesehen, als die perfekt gestylte Galeristin mit forschem Schritt zu ihnen trat. Sie gab Vida ein Luftküsschen links und rechts. „Vida, meine Liebe! Wie schön, dich zu sehen!“
„Gloria“, grüßte Vida, ihre angenehme Stimme etwas kühl.
„Nun, was sagst du zu meiner neuesten Entdeckung?“
„Vielversprechend.“
„Alexandre wird es weit bringen.“
„Das muss er wohl, als dein Protegé.“ Vida nahm Maxims Arm und wandte sich zum Gehen. „Entschuldige uns.“
„Natürlich. Wir sehen uns, Darling!“ Die attraktive Frau wandte sich selbstbewusst um. In Vidas Augen stand etwas Dunkles, als sie ihr nachblickte.
„War das Gloria Wallerhoven?“, fragte Maxim beeindruckt. Vida nickte. Die Wallerhoven hatte schon einige große Künstler entdeckt. Die Maler im Café der Nacht sprachen ihren Namen allesamt mit Ehrfurcht aus. „Du magst sie wohl nicht besonders?“
„Sie ist eine Starmacherin. Es geht ihr nicht wirklich um den
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