Café der Nacht (German Edition)
ihn?“ Es klang scharf.
Dela sah überrascht auf, aus den Gedanken gerissen. Sie sah sich nach Monroe um. Verwundert schien sie in seinem undurchschaubaren Blick lesen zu wollen. In Monroes Haltung lag etwas nahezu Bedrohliches. Plötzlich knisterte eine schneidende Spannung in der schwülen Luft. Die anderen standen stumm ringsum und wussten nicht, was tun.
„So kannst du doch nicht mit Dela ...“ Maxims Stimme klang farblos.
Monroe sah ihn nicht einmal an. „Halt dich da raus.“
„Jetzt hör mal ...“
„Ich sagte, halt dich raus!“ Sein Ton ließ Maxim verstummen, während Dela weiterhin versunken das Foto betrachtete. Monroe war mit scharfem Schritt bei ihr und packte sie unversehens am Arm. „Komm mit.“
Ein erschrecktes Raunen lief durch das Kaffeehaus. Dela schien von der groben Behandlung nicht annähernd so überrascht, wie die anderen. Dennoch konnte Maxim nicht fassen, dass sich seine Chefin nicht wehrte, und Monroe so mit sich umgehen ließ. Widerstandslos ließ sie einfach zu, dass er sie unsanft mit sich zog, und durchs Treppenhaus nach oben schleppte. Die Runde im Café blieb sprachlos-schockiert zurück.
* * *
Dela schloss langsam und fest die Tür ihres Arbeitszimmers. Stille. Das Ticken der antiken, buntbemalten Standuhr war momentan überdeutlich laut, sonst nie wahrgenommen. Aufruhr, wie sie ihn selbst im Herzen fühlte, stand in den Augen ihres Gegenübers. Doch es war eine andere Art von Aufruhr. Noch immer hielt er sie fest am Arm. Es schmerzte dumpf. Er machte ihr keine Angst, und dennoch war sie aufgeschreckt von seiner Reaktion.
„Tintin, was soll denn das?“, fragte sie bestimmt. Lola hatte ihn stets Tintin genannt, ein Kosewort für seinen richtigen Namen. Dela sprach diesen Namen nur dann aus, wenn sie beide alleine waren. Niemand außer ihr wusste, wer Dean Monroe wirklich war. Wie nah er ihr wirklich stand. Sie waren übereingekommen, es dabei zu belassen.
„Woher kennst du Ariel?“, wiederholte er bloß.
Dela warf lediglich einen Blick auf die Stelle, an der er sie festhielt. Sofort ließ ihr Neffe sie los. Sie hielt nach wie vor das Kunstmagazin in ihren Händen. Dela schritt langsam hinüber zum Schreibtisch und sank dahinter auf den Stuhl. Ihre Gedanken rasten, Gefühle durchschwirrten sie, zu mächtig, um zu fassen, zu verstehen. Die Standuhr tickte, hin und her. In ihren Ohren rauschte es. Ariel in der Zeitschrift. Das Foto. Erwachsen. Ein Maler, ein Künstler geworden. Ganz wie Darius. Und bei Gott, welch ein Talent. So schön. So wunderschön. Erwachsen, ihr Sohn. Schlagartig real. Schlagartig so nah. Österreich. Ariel, ihr Ariel. Während ihr Herz unvermindert weitersang und trommelte, besann sie sich auf das Hier und Heute. Sie sah auf. Dela betrachtete den jungen Mann, der ihr gegenüberstand. Für einen Moment sah sie wieder einen mageren Neunjährigen vor sich, dessen grüne Augen sie mit verstörter Entschlossenheit anstarrten. Zurückversetzt. Ein rabenschwarzer Tag, der wie eine Eisenhand um ihre Kehle drückte.
„Vergiss es! Ich gehe nicht zurück. Niemals!“
„Ich kann nichts tun, bitte versteh doch!“, versuchte sie zu erklären. „So gerne ich es wollte! Wenn es nach mir ginge, würdest du für immer bei mir bleiben. Aber er hat das Sorgerecht. Er ist dein Vater.“
„Er ist ein blöder Wichser!“
„Er ist dein Vater“, wiederholte sie leise und strich dem blassen Kind über die Wange. Tintin wich zurück und starrte sie ablehnend an. Sekundenlang voller Hass, der sie dolchartig ins Herz traf. Dann, völlig unvermittelt, sank er zu Boden und vergrub stumm den Kopf in seinen Armen. Sie kniete nieder und wollte ihn an sich ziehen, doch er stieß sie weg. Sie konnte es gut verstehen. Er weinte nicht, er weinte nie, als sei da nichts verblieben, das hätte weinen können. Als hätte das Grauen, das er erlebt hatte, ihm alle Tränen genommen. Als hätte Lolas grausamer Tod, dessen machtloser Zeuge er geworden war, ihn innerlich taub gemacht. Es zerriss ihr das Herz, dass man sie nun zwang, ihm auch noch zur Enttäuschung zu werden. „Ich wünschte, ich dürfte, Tintin. Ich wünschte es so sehr!“
„Dela, verdammt!“ Sie zuckte zusammen, von der erwachsenen Männerstimme in die Gegenwart zurückgerissen. „Antwortest du mir heute noch?“
Sie musste unwillkürlich lächeln. Sie winkte Dean näher heran. Sie nahm das Foto Ariels, das auf ihrem Schreibtisch stand, und reichte es herüber. Er nahm es stirnrunzelnd und
Weitere Kostenlose Bücher