Café der Nacht (German Edition)
sich. „Ich muss ihn finden. Ich muss ihn sehen, und wenn es nur ein einziges Mal ist.“
„Er weiß, dass er adoptiert wurde, Dela. Das hat er mir erzählt. Er wird dich kennenlernen wollen. Und ich weiß auch, wie du ihn finden kannst.“
Sie sah ihren Neffen für einen Moment lang an, suchte Worte, drückte ihm schließlich einen Kuss auf die Stirn. „Jetzt wird alles gut, Tintin. Ich weiß es genau.“ Sie schloss kurz die Augen und spürte das Glück, das sie durchströmte. „Jetzt wird endlich alles gut für uns.“
Geister
H E U T E
Als Adele Hofheim vor elf Jahren Sekretärin von Professor Dr. Maxim Meinig geworden war, hatte sie nicht genau gewusst, was ein Theaterkritiker eigentlich den lieben langen Tag so tat. Ihre Kinder waren frisch aus dem Haus gewesen, der Mann mit einer Jüngeren abgehauen. Sie hatte eine Aufgabe gesucht, eine neue Herausforderung. Sie liebte ihre Arbeit bei Herrn Meinig. Sie liebte es, früh am Morgen die Eingangstür der Villa aufzuschließen, in die große, beeindruckende Halle zu treten, und bereits den Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee in der Nase zu haben. Adele stellte sich gerne vor, wie das Leben hier um die Jahrhundertwende gewesen sein musste, denn ein Hauch von Vergangenheit schien noch immer zu verweilen, wie Parfum an einem alten Kleidungsstück. Sie konnte die Dienerschaft geschäftig herumhuschen sehen, Mädchen in schwarzem Kostüm und weißen, gestärkten Schürzchen. Die Herrschaft lebte in ihrer eigenen Welt, von deren Wirklichkeit wohlweislich getrennt. Herr Meinig mochte die Villa nicht besonders, und wenn man ihn darauf ansprach, schien er selbst nicht genau zu wissen, warum er eigentlich hier lebte.
Adeles Schritte hallten einsam durchs Treppenhaus, als sie sich auf den Weg zu ihrem Zimmer machte, das direkt neben dem Arbeitszimmer ihres Chefs lag. Sie wunderte sich. Heute duftete es nicht nach dem üblichen Kaffee. In all den Jahren hatte sie noch niemals einen Termin vergessen, doch sie spürte instinktiv, dass Herr Meinig nicht zuhause war, wie er es hätte sein sollen. Die Villa war leer. Ihr Arbeitgeber war ein Workaholic, wie er im Buch stand. Morgens um acht saß er bereits an seinem Schreibtisch, gönnte sich eine Stunde Mittagspause, um sich dann bis tief in die Nacht erneut seiner Arbeit zu widmen. Er schrieb für mehrere Zeitungen und Fachpublikationen, dazu kamen seine eigenen Bücher, jedes Jahr eines. Er war ein wunderbarer Mensch, so erfolgreich, und doch so bodenständig geblieben. Sie hatte immer besonders bewundert, wie er es verstand, Theater, Schauspiel und Oper Kindern und Jugendlichen nahe zu bringen. Doch der gute Mann arbeitete einfach zu viel. Es gab noch mehr im Leben. Er behauptete zwar stets, vollkommen zufrieden mit den Dingen zu sein, wie sie waren. Doch das war er nicht. Er war ein einsamer Mann, der zu jedem freundlich war und zu allen Abstand hielt. Sie empfand große Zuneigung für ihn, fast, als wäre er ein eigener Sohn. Seine Arbeit und sein Leben bestimmten in weiten Teilen das ihre. Nur, wenn er auf Reisen war, und das war er häufig, war sie alleine in der Villa, doch heute stand nichts dergleichen an.
Adele klopfte an die Tür seines A rbeitszimmers, obwohl sie wusste, dass sie dort niemanden vorfinden würde. Sie öffnete und trat ein. Der Raum war kleiner, als man es erwartet hätte und so vollgestopft, dass er eines verwirrten Professors würdig gewesen wäre. Sie hütete sich, hier irgendetwas anzufassen. Zwar war es keineswegs schlampig und hatte durchaus System, allerdings keines, das sie zu durchschauen vermochte. Sie durchschritt den Raum und betrat ihr eigenes Zimmer durch die Verbindungstür. Das Sekretariat, wie sie es nannte, war so ordentlich und penibel aufgeräumt, wie der andere Raum es nicht war. Auf ihrem Schreibtisch lag nichts herum, alles hatte seinen Platz. Sofort fiel ihr ins Auge, was nicht so war, wie es sein sollte. Die gelbe Notiz klebte an ihrem Computerbildschirm. Streng die Stirn runzelnd las sie die wenigen Worte und setzte sich baff hinter ihren Schreibtisch. Nach München gefahren? Dringend? Einfach so? Und da sollte sie sich keine Sorgen machen? In all den Jahren, die sie nun schon für Herrn Meinig arbeitete, war so etwas noch nie geschehen. Ohne zu zögern, nahm sie den Telefonhörer ab und wählte seine Nummer. Das Mobiltelefon klingelte lange, bevor sich die vertraute Stimme meldete. Ihr Mund war trocken.
„Auf die Minute“, begrüßte er sie, ein Schmunzeln
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