Café der Nacht (German Edition)
hätten, denselben Ausdruck zu erreichen. Es wunderte nicht, dass die anderen Maler ihm mit Hochachtung begegneten. In letzter Zeit sprach Dela mit Ariel öfter über eine erste Münchner Ausstellung, die geplant war. Maxim hatte bereits seine Hilfe angemeldet.
Einen Bilderstapel im Arm hatte er es sich auf dem unebenen Holzboden bequem gemacht. Er betrachtete langsam die vielformatigen Blätter. Im Raum war es so friedvoll, dass er Ariels Pinselstrich auf der feuchten Leinwand hören konnte. Dann fiel ihm die Zeichnung in die Hände. Im ersten Moment begriff er nicht, wie dies sein konnte. Er starrte sie nur an, die Studie einer Frau, die die rechte Hand auf ihre linke Schulter gelegt hatte, während sie ihr Profil zeigte. Das lange dunkle Haar fiel ihr locker ins Gesicht, seine Seidigkeit fast greifbar. Sie sah viel jünger aus. Ihre Züge waren weitaus weicher, eine letzte, erahnbare Spur von Kindlichkeit darin. Doch es war Vida. Unverkennbar Vida. Es konnte kein Zufall, es konnte niemand anderes sein. Maxim sank unwillkürlich zusammen. Wie von selbst blätterte er weiter, fassungslos. Noch eine Studie von Vida. Auch das Blatt darauf. Ihm folgte ein größerer Bogen, eine zarte Pastellzeichnung. Es zeigte Vida von der Seite, wie sie entspannt im Morgenrock an einem offenen Fenster lehnte. Einen Becher in der Hand, den Blick nachdenklich auf etwas draußen gerichtet, das sich außerhalb der Sichtweite des Betrachters befand. Es war ein realer Ort, Italien, dem südländischen Flair nach. Vida sah bildschön aus, eine Prise Schlaftrunkenheit im Blick. Es war so realistisch. Maxim hatte für einen Moment das Gefühl, ganz in die Atmosphäre des Bildes einzutauchen. Der Duft von Espresso in der Luft, ein leises Lachen. Morgendliche Geräusche auf der Straße unten, ein Fahrradklingeln. Warmer Wind, der Vida zärtlich übers Gesicht streichelte. Sie schloss die Augen, genoss. Sah den Malenden an, verschmitzt. Hör endlich auf zu zeichnen, Ariel. Komm her.
Maxim schluckte hart. Er öffnete die Augen und sah die Szene immer noch vor sich. Wie Vidas Hand durch Ariels Haar strich. Wie er sie an sich zog, sie küsste, tief und innig. Und sie sich diesem Kuss hingab. Er hatte sie besessen. Ariel hatte Vida besessen. Ihre Seele. Ganz. Sie, die niemand besitzen konnte. Ein kurzer Blick auf den Rest des Bilderstapels verstärkte das Hämmern seines Herzens. Da war sie, immer und immer wieder, Skizzen, Studien, mal lachend, mal mit geschlossenen Augen, mal lasziv, mal ernst ... Vida, Vida, Vida. Sie war so echt auf diesen Bildern, man konnte ihren Duft fast atmen, konnte sie fühlen, körperlich, überall. Mehr noch als die wirkliche Vida, die Unantastbare, Ferne, die man niemals zu erreichen vermochte. Als sei sie eine Braut des Windes, die in Luft zerstob, sobald man nach ihr griff. Maxims Augen wurden dunkel, als er zu Ariel hinüber sah. Er konnte nichts dagegen machen. Eifersucht flammte auf, wie eine hochschießende Stichflamme. Sie tobte in ihm, grässlich und schwarz, brandete, schwoll immer weiter an. Ohne ein Wort verließ er stocksteif den Raum. Es war düster auf der Speichertreppe, fernab vom Flurfenster. Maxim hinkte hinunter, fast fallend. Er verschwand in seinem Zimmer, knallte die Tür wie ein zorniges Kind. Er fuhr herum und schlug mit der Faust gegen das eisenharte Holz. Der unmittelbare Schmerz ließ ihm Tränen in die Augen schießen, er unterdrückte mühsam den Schrei. Er hatte niemals solch heftige Gefühle empfunden. Er wusste nicht, wie ihm war. Nur dass es wehtat, dass er sich verraten fühlte, ohne sagen zu können, weshalb.
Achterbahn im Herzen
Ariel richtete seine erste Münchner Ausstellung in einer leerstehenden Fabrikhalle am Rande des Viertels aus, die zum Spottpreis zu mieten war. Das langsam verfallende Gebäude war einst eine blühende Näherei gewesen, und noch immer standen einige ramponierte, rostige Nähmaschinen aus den Sechzigern darin herum. Es roch muffig, leicht moderig, die Wände warfen ihren Putz ab und waren von bizarren Wasserfleckenmustern wie marmoriert. Jugendliche Randalierer hatten leere Bierflaschen und derbe Graffitis hinterlassen. Es war ein zutiefst deprimierender Ort, der deutlich besseren Tagen nachtrauerte. Donna hatte ihn aufgespürt, und Ariel schien wie angezogen von der schwermütigen Atmosphäre, die das Dunkle, Unergründliche seiner Bilder noch unterstrich. Auf Delas Wunsch hin half Maxim gemeinsam mit Donna beim Aufbau und sonstigen Vorbereitungen
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