Café der Nacht (German Edition)
gekühlte Thermoskanne vor Ariel auf einem farbspurenübersäten Tisch, genau in dessen Blickwinkel. Als Ariel nicht reagierte, schraubte er die Kanne auf und füllte das noch vom Morgen herumstehende Glas. Er trat zu ihm und hielt es ihm hin. Erst jetzt hielt der Künstler inne. Den Pinsel locker in seiner linken Hand, griff er es mit der Rechten und nahm einen durstigen Schluck.
„Danke.“
„Immer gerne.“ Maxim nahm das Glas und stellte es zurück auf den Tisch. Er betrachtete Ariel voll Zuneigung. „Sonne“, bemerkte er knapp. „Draußen. Letzte Chance, Licht zu tanken. Ab Morgen wird’s kühl und regnerisch.“
Ariel sah ihn stirnrunzelnd an, als sei das eine absurde, wirre Information.
„Ich meine ja nur.“
Ariel hob eine Augenbraue und lächelte flüchtig, bevor er sich wieder vertiefte. Maxim zog sich zurück und hopste auf seine hohe Lieblingskiste. Manchmal saß er stundenlang in entspanntem Schweigen hier, da sie in einem guten Winkel zu Ariels Staffelei stand. Es war wie ein unschätzbares Geschenk, zusehen zu dürfen, wie sich ein Gemälde von dunklen Flecken und Grundierungen zu Formen wandelte, denen das Auge des Betrachters Dreidimensionalität zuschrieb. Oft war Maxim erst, wenn Beine und Rücken schmerzten, oder Hunger in seinem Magen grollte, bereit, seinen kostbaren Beobachtungsposten aufzugeben. Und selbst dann noch ungern.
In Ariels faszinierenden Arbeiten fanden sich Spuren, Einflüsse anderer Kulturen. Er war ein Kosmopolitenleben gewöhnt. Seine Adoptiveltern waren Diplomaten gewesen, hatten mit ihm in Bolivien, in Südafrika gelebt, in Neu-Delhi, in Melbourne. Vielerorts. Man tratschte und spekulierte im Café in allen Nischen über Ariel. Delas Sohn gab selbst sehr wenig preis. Doch er hatte Maxim in einer stillen Stunde, als sie beide gemeinsam zu Abend aßen, erzählt, dass es erst wenige Jahre zurücklag, dass seine Adoptiveltern beim Skifahren in den französischen Alpen bei einem Lawinenunglück umgekommen waren. Ariel umgab eine leise Wehmut, etwas Fernes, Nichtvondieserweltliches. Manchmal wirkte er auf Maxim, als sei er einst als Kind von Feen entführt worden. Als wüsste er um Geheimnisse, die kein Mensch wissen konnte. Er konnte in Seelen blicken, mit seinen klaren, ruhigen Augen. Es musste dies sein, was seiner Arbeit solch unglaubliche, dunkelmagische Kraft verlieh. Er sah die Welt mit dem Blick eines außerhalb der Welt Stehenden. Maxim war bei Weitem nicht der Einzige im Café der Nacht, der Delas enigmatischen Sohn hin und wieder ein wenig unheimlich fand. Und doch musste man Ariel lieben, ohne dass man hätte sagen können, weshalb. Vielleicht lag es an seinen Augen, zurückhaltende Freundlichkeit. So sehend im Ganzen. So sensibel verstehend. Er war ein bildschöner Mann, Dela fast frappierend ähnlich. Die Mädchen verschlangen ihn förmlich mit ihren Blicken, redeten schmutzige Dinge über ihn. Doch Ariel blieb allen fern.
Als Dela nach dem schockierenden Vorfall um das Art:Ist -Magazin ohne Abschied und Erklärung für zwei Wochen spurlos verschwunden war, hätte es unter den Gästen des Cafés der Nacht vor Aufregung beinahe Tumulte gegeben. Maxim hatte versucht, Monroe schon um des lieben Friedens willen zu des Rätsels Aufklärung zu bewegen, doch der hatte stur und unwirsch geschwiegen. Mehr, als dass es Dela gut ginge und schon alles in Ordnung sei, war nicht aus ihm herauszubekommen gewesen. Schließlich war der Anruf gekommen, der Rufus sehr lange in Delas Arbeitszimmer verschwinden ließ. Eine Ewigkeit für die angespannten Pensionsbewohner. Sogar Donna, frisch aus dem gemeinsamen Urlaub mit Kiki zurück, hatte geistesabwesend an ihren Nägeln herumgekaut. Was Rufus ihnen dann offenbarte, hatte die sonst kaum zu beeindruckende Schar völlig unvorbereitet getroffen. Es verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Café, huschte in jede Nische, wisperte in jeder Ecke.
„Sie ist doch viel zu jung, um einen Sohn in dem Alter zu haben!“
„Vielleicht ist sie älter, als sie aussieht.“
„Vielleicht war sie blutjung, als es geschah.“
Man staunte und rätselte. Monroe saß abseits in der Ecke und sagte nichts zu alledem. Einen seltsam düsteren Ausdruck auf seinem Gesicht.
* * *
Ende August trieb bereits eine Ahnung von Herbst in der kühler werdenden Abendluft. Mancher Stammgast kehrte gutgelaunt und sommerbraun aus den Ferien zurück und wusste vergnügliche Anekdoten zu berichten. Auch neue Gesichter tauchten auf. Besonders die
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