Café der Nacht (German Edition)
Pensionszimmer meinte er keine Luft zu bekommen. Er zog die Winterjacke an, schlang den Schal um den Hals und machte sich auf den Weg nach unten. Vor dem Café, den Kopf gesenkt, lief er geradewegs in Monroe hinein.
„Hey, bist du unter die Blinden gegangen?“, lachte der, ihn festhaltend, bevor sie beide hinfallen konnten.
„Ach je, Entschuldigung.“ Es war immer schön, Monroe zu sehen, doch Maxim war selten so froh darüber gewesen, wie in diesem Augenblick. „Ich hab nicht aufgepasst.“
„Sag bloß.“ Die grünen Augen lächelten. „Wo soll’s denn hingehen?“
„Ich weiß nicht. Mir ist einfach die Decke auf den Kopf gefallen. Ich wollte ein bisschen spazieren gehen.“ Er sah Monroe hoffnungsvoll an. „Du hast nicht zufällig Lust, mitzukommen?“
Monroe warf einen Blick zur Mansarde hinauf, und Maxim konnte förmlich seine Gedanken lesen. Vermutlich hatte Vida eine Verabredung mit Ariel. Sein Mut sank. Doch dann zuckte Monroe lässig die Schultern. Er schien eine Entscheidung getroffen zu haben.
„Okay.“
„Oh. Wirklich?“
Monroe sah ihn amüsiert an. „Was, ist das so schwer zu glauben?“
„Nein. Nur ... wenn du schon was anderes vor hast ...“
„Gehen wir“, beendete Monroe knapp das Thema.
Maxim lächelte in sich hinein, als sie einträchtig voranschlenderten, ohne ein bestimmtes Ziel. Es gab ihm ein seltsames Hochgefühl, dass Monroe diesmal ihn vorgezogen hatte. Ariel beanspruchte ihn einfach zu viel für seinen Geschmack. Er konnte nicht umhin, jedes Mal wieder einen eifersüchtigen Stich zu empfinden, wenn er mitbekam, dass Monroe oder Vida bei ihm war.
Im verschlungenen Labyrinth der Gassen des alten Viertels konnte man lange herumspazieren, auch wenn man dabei an bestimmten Ecken mehrmals vorbeikam. Es wurde so früh dunkel um diese Jahreszeit. Kälte kroch aus dem Boden. Maxim fühlte die Hoffnungslosigkeit erneut in sich aufsteigen, die ihn zuvor bedrückt hatte.
„Heute vor vier Jahren ist meine Mutter gestorben“, meinte er leise. Er wusste nicht genau, warum er Monroe das anvertraute. Es war eher die Art von Gespräch, die er normalerweise mit Vida geführt hätte. Doch seltsamerweise fühlte es sich richtiger an, mit ihm zu sprechen.
Monroe sagte nichts, er nickte nur und betrachtete Maxim nachdenklich, während sie gemächlich voranschritten. „Ich habe das noch nie jemandem erzählt“, fuhr Maxim leise fort. „Sie hat sich das Leben genommen.“
„Warum erzählst du es mir?“
„Keine Ahnung.“ Versonnen blickte Maxim geradeaus, in Gedanken versunken. Das letzte Gespräch allein mit seiner Mutter, Banalitäten. Vater hatte sie angebrüllt nach dem Mittagessen, sein Gesicht tiefrot vor Zorn, als er aus dem Damensalon gestürmt war. Maxim hatte oben auf der Treppe gekauert, unentdeckt. Er hatte gewartet, bis er sicher sein konnte, dass die Luft rein war, dann hatte er sich lautlos zu seiner Mutter gestohlen. Sie hatte am Fenster gestanden, flugs Tränen aus den Augenwinkeln gewischt, als sie seine Gegenwart bemerkte. Ihr Salon war hell und freundlich, immer ein frischer Strauß von üppigen, englischen Rosen auf der Fensterbank. Seine Mutter hatte sich umgewandt, ein aufgesetztes Lächeln. Solche Leere in den schönen Augen. Weit entfernt.
„Maxim, was gibt es?“
„Was wollte er schon wieder?“
Sie ging wie stets nicht darauf ein. „Ach, Liebling, bevor ich es vergesse, Berchtas kommen Freitag zum Dinner. Würdest du nachsehen, ob Hilda dir ein Hemd aufbügeln muss?“
„Natürlich.“ Er wollte näher treten, doch etwas an ihrer Haltung hielt ihn zurück. „Soll ich dir einen Tee bringen?“
„Danke, ich bin gut versorgt.“ Sie wies auf das Silbertablett auf dem kleinen Tisch mit den kostbaren Einlegearbeiten. Eine bauchige Porzellankanne, ein Teller mit Hildas selbstgebackenen Keksen. Beides nicht angerührt.
„Bist du schon fertig mit allen Schularbeiten?“
„Bald. Focke hat uns ordentlich eingedeckt, der alte Fiesling.“
„Maxim, bitte. Der gute Mann macht doch nur seine Arbeit. Jetzt geh. Umso eher kannst du deine freie Zeit unbesorgt genießen.“
„Die neuen Bücher sind heute gekommen.“ Maxim strahlte. Er konnte es kaum erwarten, seinen Nachschub an Lesestoff mit Wonne in Angriff zu nehmen.
„Wunderbar.“ Ihr müdes, gefasstes Lächeln, erst im Nachhinein schmerzvoll.
Gedankensprung, Momentaufnahmen.
Früher Abend. Zitternde Finger, die es fast nicht vermochten, mit dem Ersatzschlüssel die Badezimmertür zu
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