Café der Nacht (German Edition)
landeten.“ Monroe sagte es so beiläufig, als sei das keine große Sache.
„Du hast als Kind auf der Straße gelebt?“ Maxim konnte den bestürzten Tonfall nicht ganz unterdrücken.
Monroe warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. „Ja. Na und? Wir kamen immer irgendwie durch. Lola ging anschaffen, und wenn sie drauf war und tagelang verschwand, habe ich dafür gesorgt, dass wir was zum Beißen hatten, wenn sie zurückkam.“
„Wie hast du das gemacht?“
Der andere zuckte die Achseln. „Ich habe alles gemacht. Alles, was nötig war. Wenn du erst mal wirklich Hunger hast, überlegst du nicht mehr lange, Max. Da bleibt kein Raum für Würde oder Skrupel.“
„Scheiße“, meinte Maxim betroffen.
Monroe hob die Augenbrauen und sah ihn argwöhnisch an. „Nun flenn nicht gleich“, sagte er ruppig. „Ich bin hier, oder? Ich hab’s überlebt.“
Aber wie, dachte Max im Stillen. Und was ist dabei aus dir geworden? Vieles an ihm, an seiner Art, machte plötzlich viel mehr Sinn. Vieles wurde verständlicher. Nicht eher zu entschuldigen, aber leichter nachzuvollziehen. Dennoch blieben viele Fragen offen. Monroe war ohne jeden Zweifel gebildet, und hatte sich sicher viel selbst angeeignet. Doch ein Grundstock musste schon lange davor gelegt worden sein, eine ordentliche Schulbildung, nach der in seiner bisherigen Erzählung so gar nichts klang. Und wenn er an Vida dachte, musste es eine Zeit in seinem Leben gegeben haben, in der er sich in sehr zivilisierter Gesellschaft bewegt hatte. Monroe schien ihm plötzlich wie zwischen zwei Welten hin- und hergezerrt, der bissige Straßenjunge auf der einen, der intellektuelle Künstler auf der anderen, fortwährend miteinander im Clinch. So viele Fragen lagen ihm auf der Zunge, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, sie zu stellen. Die geheimen Gefühle, die er für Monroe hegte, schienen durch die schlimme Erzählung nur noch tiefer zu werden, wie ein Band, das sich fester um sie beide zog und sie miteinander verband. Maxim begriff erst nach und nach, wie Monroes Kindheit ausgesehen hatte im Vergleich zu seiner eigenen, und wie sehr ihn dies geprägt haben musste. Wo er selbst viel zu sehr behütet worden war, hatte der andere niemanden gehabt, der ihn beschützte. Also hatte er sich selbst beschützt, und das tat er noch heute.
Monroe starrte düster vor sich hin, ganz in die Vergangenheit versunken, die ihn zu umhüllen schien wie die wachsende Dunkelheit des frühen Abends.
„Ist Lola an Drogen gestorben?“, fragte Maxim schließlich leise.
Monroe schüttelte den Kopf, sekundenlang eine verbissene Verzweiflung in den Augen, die er zu unterdrücken suchte, und doch sah sie Maxim. Seine Stimme klang betont unbeteiligt und kühl, ganz der Schauspieler. „Ein paar Kerle haben sie tot geprügelt, weil sie gerade Lust darauf hatten, eine abgewrackte Hure klein zu machen. Ich hab’s versucht, aber ich konnte nichts tun. Als ich zu mir kam, war sie tot.“ Er schien etwas vor seinem geistigen Auge zu sehen und runzelte die Stirn. Seine Stimme klang, als sei er gerade ganz weit weg, jung und verwundert. „Sie sah gar nicht mehr aus, wie sie selbst.“
Maxim war so geschockt über die Enthüllung, dass er gar nichts sagen konnte. Er spürte, dass das auch besser so war. Er fand die Bilder, die er selbst nicht loswurde, die Bilder von seiner toten Mutter in der Badewanne, schlimm genug. Er mochte nicht versuchen, sich vorzustellen, wie es erst für Monroe gewesen sein musste. Obwohl sie beide ihre Mütter verloren hatten, hatten die Leiden, die sich dahinter verbargen, wenig gemein.
Sie liefen eine Weile schweigend nebeneinander her. Maxim hätte Monroe gerne berührt, den Arm um ihn gelegt, aber er wusste, der andere würde darauf nur ungehalten reagieren. „Danke“, meinte er schließlich schlicht. „Dass du es mir erzählt hast.“
Monroe warf ihm einen scharfen Blick zu. „Das behältst du für dich, klar?“
Maxim sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Muss du das wirklich noch fragen?“
Etwas in Monroes Blick wurde schlagartig weicher. „Nein. Du hast recht. Entschuldige.“
Sie schlenderten weiter, eine Weile jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Nebel kroch über den Boden, feucht und kühl. Am Himmel zeigten sich scheu die ersten Sterne. Maxim blieb stehen und sah den anderen ernst an, von Sorge erfüllt. „Versprich mir eins, Löwenherz.“ Er wählte den Namen ganz bewusst, eine Anspielung auf die Überdosis, die Monroe fast das Leben
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