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Café Eden - Roman mit Rezepten

Titel: Café Eden - Roman mit Rezepten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Kalpakian
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Dog kam auf sie zu und erschreckte Cody. Er blieb abrupt stehen, und Ginny wurde zur Seite gerissen, wo sie hilflos am Sattel baumelte, während Cody herumschwang und sie mit dem Kopf gegen die Betonwand schleuderte. Er zog sie eine ganze Runde hinter sich her, bevor zwei beherzte Reiter ihn zum Stehen brachten. White Ghost Dog allerdings hatte sich nicht materialisiert. Ein Bewunderer hatte einen weißen Nerzmantel über die Reling geworfen.
    Zwei Wochen nach dem Unfall wachte Ginny in der Wohnung ihrer Mutter in Raymond’s Hotel in Butte auf. Sie wusste nicht, wie sie dorthin gekommen war. Ihr Kiefer war verdrahtet, sie hatte ein paar Wirbel, acht Rippen und die Schulter gebrochen, ein Fuß war zerschmettert und ein Bein ebenfalls gebrochen. Außer Prairie Fern hatte niemand daran geglaubt, dass sie überleben würde. Wenn sie nicht stürbe, meinten sie, würde sie nie wieder laufen können; und wenn sie wieder laufen könne, dann könne sie bestimmt nicht mehr reiten. In Ginnys Sprachschatz kam das Wort nie nicht vor, und der Unfall und ihre Genesung nährten ihre Legende noch.
    Der Unfall blieb jedoch nicht folgenlos. Zwischen ihren gebrochenen Wirbeln bildeten sich kleine Hohlräume, die in den kalten Wintern in Montana einfroren und nicht auftauten. Sie würde keine Kinder bekommen können. Ihre Genesung dauerte fast drei Jahre, in denen sie häufig an der Rezeption saß, damit ihre Knochen in Ruhe heilen konnten. Sie war jetzt dreißig und betrachtete mit Verbitterung ihre ungewissen Zukunftsaussichten.
    Im Herbst 1949 brannte Raymond’s Hotel bis auf die Grundmauern nieder. Das Geschäft war schon lange schlecht gegangen; das Gebäude war versichert, und Brandstiftung konnte nicht nachgewiesen werden. Raymond strich das ganze Geld ein, während Prairie Fern und Ginny mittellos dastanden. Zum Glück hatte Ginny ihren berühmten, mit Silber bestickten Sattel, ihre Gürtelschnalle aus Sterlingsilber, ihre Pistole und ein paar perlenbestickte Westernkostüme retten können, weil sie sie in der Garage aufbewahrt hatte. Sattel und Gürtelschnalle tauschte sie für einen zwanzig Jahre alten Dodge ein, der einem Cowboy gehörte. Sie nannte ihn Bucko und wälzte sich noch schnell mit ihm im Heu, weil sie am nächsten Tag sowieso aufbrechen wollte.
    Ginny und Prairie Fern fuhren gemächlich quer durch das Land bis nach Tumwater in der Nähe von Seattle, wo Kathleen und ihr Mann lebten. Er arbeitete in einer Fischräucherfabrik, roch nach Rauch und rauchte Pall Mall. Ginny bevorzugte Lucky Strikes.
    An einem Abend saßen Kathleen, ihr Mann, Ginny und Prairie Fern beim Abendessen, als Kathleen sagte, wie schön sie es fände, wenn Mutter in Tumwater bliebe. Kathleen hatte keine Kinder und tagsüber keine Gesellschaft. Das Essen, das sie auf den Tisch stellte, war eine dicke, bleiche Puddingmasse, ein Krug mit Sirup, eine gebackene Kartoffel für jeden und eine Tasse Kaffee. Sie erklärte, ihr Mann litte an Verdauungsstörungen und könne nur wenig essen.
    Ginny lauschte dem Klirren der Gabeln und Löffel, den Essensgeräuschen und den stumpfsinnigen Gesprächen. Wie ertrug Kathleen das nur? Konnte Ginny ihrer Mutter ein Leben hier zumuten? Aber sie hatte keine andere Wahl, ohne Geld, ohne Aussichten, ohne Pferd, ohne Sattel.
    Kathleen räumte den Tisch ab und sagte, sie hätten hoffentlich alle noch etwas Platz für den Nachtisch gelassen. Ihr Mann entschuldigte sich und ging ins Wohnzimmer. Kathleen erklärte, sein empfindlicher Magen vertrüge keinen Kuchen.
    Sie trug einen Brombeerkuchen auf, den sie erst am Morgen gebacken hatte. Durch den goldbraunen Teig schimmerten kleine dunkle Brombeertümpel, und der Kuchen duftete nach Septembersonne. Kathleen schnitt ihn an und legte ihrer Mutter, ihrer Schwester und sich selber so vorsichtig ein Stück auf den Teller, als sei es ein sorgfältig eingepacktes Geschenk.
    Und das war es auch. Prairie Fern begann zu weinen, und Ginny und Kathleen brachen ebenfalls in Tränen aus. All diese Jahre, so viel Mühen und Schweiß, so viele Männer und Pferde, so viel Arbeit im Hotel, und mehr war ihnen nicht geblieben.
    Ginny erklärte, so einen leckeren Brombeerkuchen habe sie noch nie in ihrem Leben gegessen, und Kathleen errötete vor Freude über das Kompliment. Sie sagte, das Geheimnis bestehe darin, den Kuchen zu backen, wenn die Beeren noch warm von

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