Café Eden - Roman mit Rezepten
stumm, weder richtig lebendig, noch ganz tot, nur völlig machtlos. Hilflos musste sie zusehen, wie Gideon in seiner Unfähigkeit im Verlauf von achtzehn Monaten das Pilgrim ruinierte und das Geld, das Ruth in den letzten vierzig Jahren gespart hatte, ausgab. Das Haus in der Silk Stocking Row verkauften sie Art Whickham für den Preis, den er ihnen bot, und Ruth Douglasses harte Arbeit, ihr Können und ihr Mut gerieten in Vergessenheit, als habe es sie nie gegeben.
Tom und Afton nahmen Ruth zu sich und ihren acht Kindern, und Eden sah ihre GroÃmutter nie wieder.
Als Gideon mit der Beschreibung des Debakels in St. Elmo fertig war, holte er tief Luft und sagte: »Nun, Mason, jetzt sind wir hier. Ich habe unser letztes Geld dafür verbraucht, mit meiner Familie hierherzukommen. Ich bin bereit zu arbeiten.«
Mason grinste. »Nun, Gideon, ich habe dich nach Idaho geholt, weil hier der Reichtum auf der StraÃe liegt. Man braucht sich nur danach zu bücken.«
»Gut«, sagte Kitty, »wir bücken uns. Wo ist der Reichtum?«
Mason antwortete weitschweifig und lebhaft, aber nach und nach trat die Wahrheit zu Tage: Masons Sunstone Silbermine war so veraltet wie ein Plumpsklo in einem modernen Haushalt mit Wasserspülung. Und Mason selber war auf dem Sprung in die kanadische Wildnis, wo es, wie er sagte, »viele Chancen für einen Mann mit Visionen gibt«.
»Kanada?«, erwiderte Gideon und putzte seine Brille. »Kanada?«
»Schneckenschleim», warf Kitty ein. »Das ist dein wahrer Name.«
»Wie bitte?«, sagte Mason.
»So habe ich dich immer genannt, Mason. Ich habe immer gesagt, du wärst wie Schneckenschleim. Wo du gehst und stehst, hinterlässt du eine schleimige Spur. Sie sieht aus wie Silber, ist aber in Wahrheit nichts als Schleim, und wir sind darauf hereingefallen. Weià der Teufel, was wir jetzt machen sollen.«
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Kitty lieà Gideon niemals vergessen, dass er sie alle wegen nichts nach Idaho geschleppt hatte. Und Gideon gewöhnte sich schnell an, auf diesem Ohr taub zu sein, denn zu seiner Verteidigung konnte er immer anführen, dass er fast sofort eine Stelle gefunden hatte.
Die Geschichtslehrerin der Fairwell High School war genau an jenem Abend mit dem Kassierer der Bank durchgebrannt, und in einem frechen Diebstahl, der Fairwell bis auf seine mormonischen Wurzeln erschütterte, hatten sie Spareinlagen mitgenommen. Diesem fehlgeleiteten Pärchen - sie wurden später erwischt, vor Gericht gestellt und verurteilt - verdankte Gideon seinen Job. Er übernahm den Posten der Geschichtslehrerin. Er kannte seine Geschichte gut, die der Mormonen ebenso wie die amerikanische, und der Direktor der Schule, der gleichzeitig auch mormonischer Bischof war, gab ihm den Job auf der Stelle. Gideon Douglass war in Fairwell, Idaho angekommen, wie Brigham Young in Salt Lake City. Er unterrichtete an der Schule, er unterrichtete in der Sonntagsschule und ging zweimal in der Woche zur Genealogiegruppe. Er war ein Heiliger in einer Mormonenstadt und ein glücklicher Mann.
Aber Kitty war eine verlorene Frau. Ihr zielloser Hedonismus degenerierte zu einer Art Demenz. Kitty trug winters wie sommers, Tag und Nacht, einen Chenillemorgenmantel. Sie roch nach einer Mischung aus Chesterfields, Schweià und Eau de Cologne, von dem sie ab und zu einen Schluck nahm. Es war schwer, in einer Mormonenstadt an Gin zu kommen, auch wenn die Prohibition vorbei war. An manchen Tagen blieb Kitty einfach im Bett liegen. Sie verfluchte die mormonische Religion und alle Mitglieder der Familie Douglass, vor allem Ruth, Afton und Mason. Ihre Kinder bezeichnete sie als undankbare Bälger, und sie jammerte dem armen Tootsie nach, der bestimmt gut zu ihr gewesen wäre. Eden hielt diese Anfälle nicht aus. Sie verlieà türenknallend das Haus und verachtete ihre Mutter für ihre Ohnmacht. Die alte Kumpanei, die Eden und Kitty im Dream Theatre geteilt hatten, war vorüber.
Wenn Kitty wütete, belegte sie Gideon mit allen möglichen Schimpfnamen und warf ihm vor, sie und die Kinder in einem gottverlassenen Nest ausgesetzt zu haben, in dem man nicht einmal eine Tortilla kaufen könne, wenn man Hunger habe. Er würde sich einen Dreck um seine Familie kümmern, weil ihm diese verfluchte Zeittafel wichtiger sei als alles andere.
Aber Gideon arbeitete gar nicht mehr an der GroÃen Zeittafel, obwohl sie alle Rollen und Papiere mit nach Fairwell
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