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Café Eden - Roman mit Rezepten

Titel: Café Eden - Roman mit Rezepten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Kalpakian
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hielten beide ihre Blicke aufmerksam auf den Lehrer gerichtet. Selbst einer Gruppe unruhiger Jugendlicher konnte Gideon den Kampf der Heiligen nahebringen. Eloquent erzählte er ihnen von der Handcart-Brigade, jenen etwa viertausend englischen, walisischen und skandinavischen Konvertierten, die bis Iowa City gekommen und von dort nach Zion gegangen waren. Er sprach so, als sei dieser mühsame Treck erst gestern gewesen. Durch Nebraska, wo ganze Büffelherden vorbeidonnerten. Die Konvertierten durften keine Gewehre besitzen, deshalb konnten sie bloß zuschauen, wie das Fleisch auf Hufen an ihnen vorbeitrampelte. Sie schoben ihre zweiräderigen Holzkarren hoch nach Wyoming, durch die Rocky Mountains. In den Wagen aus Hickory oder Eiche befanden sich alle irdischen Güter der Familien, ihre Säuglinge, ihre Alten, die Kranken und Sterbenden, und alle zogen sie westwärts.
    Â»Mein Pa kann gut Geschichten erzählen«, sagte Eden.
    Â»Oh, es ist nicht nur eine Geschichte«, rief Schwester Thorsen aus. »Es ist eine Inspiration. Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, weißt du.«
    Â»Nein, das wusste ich nicht.«
    Â»Dein Pa hatte eine Großtante in der Handcart-Brigade. Und meine Urgroßmutter ist auch mit ihnen herübergekommen. Die Vorstellung, dass unsere Vorfahren sich vielleicht gekannt und auf dieser Reise, auf der so viele vor Hunger und Erschöpfung gestorben sind, gegenseitig getröstet haben, macht mich glücklich. Bei deinem Vater klingt alles so real, als ob die Toten immer noch bei uns wären.«
    Eden schwieg, aber Schwester Thorsen blickte sie so erwartungsvoll an, dass sie schließlich zustimmte, ihr Vater könne im Unterricht gut mit Worten umgehen.
    Die darin mitschwingenden Vorbehalte überhörte Schwester Thorsen. »Dein Pa sagt, unsere Leute seien gesund gewesen, hätten aber schlechte Zukunftsaussichten gehabt, und deshalb hätten sie ihre angestammten Wurzeln verlassen und sich dem Unbekannten gestellt.«
    Â»Tatsächlich?«, erwiderte Eden gelangweilt. Sie wollte endlich wieder zu ihren Todesanzeigen zurückkehren. »Ich dachte, das hätte Joseph Smith gesagt.«
    Â»Das versteht sich von selbst«, meinte Schwester Thorsen.
    Â»Nun ja, danke für den Lebkuchen.«
    Â»Er ist aus Sauerteig. Darauf wärst du nie gekommen, was?«
    Eden war jedoch nicht an Sauerteig interessiert. »Nein, ganz bestimmt nicht.«
    Â»Sauerteig ist das Geheimnis all meiner Kuchen. Ich gelte als gute Bäckerin, ohne mich brüsten zu wollen«, fügte Schwester Thorsen hinzu. »Die meisten Leute kämen nie auf die Idee, eine halbe Tasse Sauerteig in einen Kuchen zu geben, aber es macht unglaublich viel aus. Meine Familie macht es seit 1856 so, als meine Urgroßmutter in der Handcart-Brigade nach Zion kam. Sie gingen durch glühende Hitze und Blizzards«, sagte sie, als rezitiere sie ein Gedicht. »Manche brachen im Sommer zu spät auf und gerieten in starke Schneefälle. Sie starben in Scharen, jedem Babylon den Rücken zugewandt, die Augen auf ein neues Zion gerichtet.«
    Eden erkannte den Lieblingssatz ihres Vaters. Sie hatte ihn immer viel zu übertrieben gefunden, aber Margaret Thorsens Augen leuchteten, und Eden schämte sich für sie.
    Â»Sie hatten wenig zu essen. Sie tranken Wasser aus Büffelsuhlen und machten Feuer aus Büffeldung. Sie wären verhungert, da es kein Brot und keine Hefe gab, wenn nicht dieser Sauerteig gewesen wäre. Sie machen keine sprechenden Bilder über unser Volk. Sie erzählen unsere Geschichten nicht wie dieses ganze erfundene Zeug, denn unsere Geschichten sind wahr. Als meine Urgroßmutter endlich in Zion angelangt war, hatte sie drei Kinder verloren, und ihr Mann starb am Biss einer Klapperschlange, aber sie hatte dieses Rezept im Kopf - was in deinem Kopf ist, kann dir niemand nehmen - und diesen Sauerteig in der Hand.«
    Eden fragte sich, ob Schwester Thorsen vielleicht zarte Gefühle für ihren Vater hegte. Wie viel glücklicher wäre er doch, wenn er mit einer Frau wie ihr verheiratet wäre. Mitleid für ihre Eltern überwältigte Eden, ein vollkommen neues Gefühl; sie hatte sie nie als Personen gesehen, die selber vielleicht auch litten. Aber ihr Mitleid war gewürzt mit einer Prise Illoyalität und auch Scham, ohne dass sie sagen konnte, für wen oder was.
    Als Schwester Thorsen gegangen war, öffnete Eden ohne die

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