Café Eden - Roman mit Rezepten
fand Eden Louise ihre Mutter in Unterwäsche und losem Kittel im Bett. Das Baby krabbelte um sie herum. Sie hielt einen Roman in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand. Ihre halblangen Haare standen in einem rötlichen Heiligenschein um ihr Gesicht. Eden lehnte sich an den Schreibtisch ihres Vaters, auf dem sich endlose Tabellen und Blaupausen seiner GroÃen Zeittafel stapelten. Die gerollten Entwürfe lagen überall herum und quollen aus dem Schrank und aus der Truhe, die Kitty aus Liverpool mitgebracht hatte. Die Tabellen, die an die Wand geheftet waren, raschelten in der leichten Brise.
»Warum machst du denn so ein saures Gesicht? War es ein schlimmer Tag in der Schule? Ach, mach dir nichts draus. Komm her.« Kitty warf den Roman zu Boden und schüttelte das Kissen neben sich auf. Ernest setzte sie ans Bettende. Sie breitete die Arme aus.
Eden legte sich neben ihre Mutter und lieà sich in eine Umarmung ziehen, die nach Zigarettenrauch und SchweiÃ, einem Hauch Talkumpuder und Bowers Tonic roch. Entspannt schmiegte sie sich an den weichen Körper ihrer Mutter, während Kitty eine Melodie summte, die sie in ihrer Zeit auf der Bühne in der Music Hall in Liverpool gesungen hatte. Lächelnd summte Eden mit. Sie fühlte sich angenehm warm und schläfrig und geliebt. Geliebt fühlte sie sich auch bei Afton, aber dieses angenehm warme, schläfrige Gefühl wollte sich dort nicht einstellen.
»Warum kommst du erst so spät?«, fragte Kitty.
»Sam und Junior haben mich zu Tante Afton mitgenommen. Sie hat Kuchen gebacken.«
Kittys Gesicht hellte sich auf. »Ein Stück Kuchen von Afton mit einer Tasse Tee. Na, das wäre doch mal was, oder? Was für ein Kuchen?«
»Bananencremekuchen mit ein bisschen Orange.«
»Oh, himmlisch! Afton hat dir sicher etwas mitgegeben, oder?«
Eden schüttelte den Kopf.
»Das nächste Mal musst du sie darum bitten, Kätzchen. Frag sie, ob sie nicht ein Stück für die armenischen Hungerleider entbehren kann.«
»Wir sind keine armenischen Hungerleider.«
»Nein, aber wenn wir welche wären, dann würde sie uns Kuchen schicken. Nur für ihr eigenes Fleisch und Blut rührt Afton keinen Finger.«
»Sie hat vor zwei Wochen hier saubergemacht«, erwiderte Eden. Sie hatte immer noch Condyâs Desinfektionsmittel in der Nase. Der Geruch hatte tagelang in der Wohnung gehangen.
»Das ist nicht dasselbe.«
Das musste Eden zugeben.
Das Baby kam auf sie zugekrabbelt und fiel über Kittys SchoÃ. Es roch übel. »O Ernest, ich liebe dich, aber du bist ein böser, böser Junge!« Kitty schwang die Beine aus dem Bett und klemmte sich Ernest unter den Arm. Eden folgte ihr auf die hintere Veranda. Sie schälte die schmutzige Windel ab und warf sie in einen Korb, in dem andere schmutzige Windeln lagen, dann hielt sie seinen verschmierten Po unter den Wasserhahn. Er brüllte los, als ihn der kalte Strahl traf.
»Miss Victorine St. John würde das Hinterteil dieses Babys an meiner Stelle nicht waschen. Nein, sie war in leidenschaftlicher Liebe zu einem Duke entbrannt«, erklärte Kitty.
»Ist er ihre wahre Liebe?« In allen Romanen von Ma kam wahre Liebe vor.
»Natürlich. Es war ja nicht seine Schuld und ihre auch nicht, dass er ein Duke war und sie ein armes Mädchen aus dem Volk. Aber sie benahm sich immer wie eine Lady, vergiss das nicht. Er verliebte sich in ihre blauen Augen und in ihre Tugendhaftigkeit, und natürlich auch in ihr Talent, Kätzchen. Oh, Victorine konnte so gut singen!«
»So wie du, Ma? âºGone Where They Donât Play Billiardsâ¹?«
Kitty legte Ernest auf den Boden und zog ihm eine frische Windel an. AnschlieÃend stand er auf und wackelte in die Küche. Seine nassen FüÃchen hinterlieÃen schmutzige Abdrücke auf dem Linoleum. Er stieà mit Ada zusammen und plumpste auf den leidgeprüften Hund. »Nun, Victorine stand niemals auf der Bühne in der Music Hall wie ich, die Lerche von Liverpool, ich und meine ganze Familie. Meine arme liebe tote Mama und mein Papa und meine kleine Schwester starben alle an Lungenentzündung, weil sie nasse Strümpfe anhatten.«
Kitty seufzte, wie immer, wenn sie an ihre Erfolge als Lerche von Liverpool dachte, und Tränen traten ihr in die Augen beim Gedanken an ihre verstorbenen, betrauerten Eltern und die kleine Schwester, die anscheinend
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