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Café Eden - Roman mit Rezepten

Titel: Café Eden - Roman mit Rezepten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Kalpakian
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keinen Namen gehabt hatte. Kitty war als junge Frau zu den Heiligen der letzten Tage konvertiert, aber seit sie in St. Elmo war, lebte sie so, als sei sie mit dem Taufwasser nie in Berührung gekommen.
    Jetzt blickte sie auf den Schatten, den der Pfirsichbaum warf, und runzelte die Stirn. »Wenn du um drei nach Hause gekommen wärst, wäre ich schon längst aufgestanden. Du weißt doch, was für Sorgen ich mir immer mache, wenn du nicht nach Hause kommst.« Das stimmte gar nicht. Es war ihr kaum aufgefallen. Sie begann »Hot Tamale Molly« zu summen. »Geht dein Vater nach der Arbeit in die Bibliothek? Hat er was gesagt?«
    Â»Woher soll ich wissen, was er macht?«
    Kitty entzündete die Gasflamme unter dem Wasserkessel, blies das Streichholz aus und griff nach der dickbauchigen Keramikteekanne, die einen Sprung im Deckel hatte. »Nun, es ist Zeit für Tee, oder?«
    In Kittys Haus war immer Zeit für Tee, obwohl die Schrift der Mormonen Tee, Kaffee und natürlich alle alkoholischen Getränke verbot. Kitty erklärte gerne, das mormonische Buch der Weisheit enthielte nichts als die Tiraden schamloser Blödmänner, Worte, die Gideon, der an die Mormonenkirche und ihre Weisheit glaubte, schmerzten. Je heftiger Kitty gegen seine Kirche und seine Familie wütete, desto mehr klammerte sich Gideon an seinen Glauben. Doch auch er war auf dem steinigen Pfad der Tugend gestrauchelt: Gideon trank morgens und abends heißen, gezuckerten Tee, zweifellos dankbar für diesen kleinen Trost. Dreizehn Jahre Ehe hatten ihn ausgelaugt.
    Mittlerweile, 1926, schien Gideon Douglass begriffen zu haben, was mit seinem Leben passiert war. Ja, er akzeptierte es sogar. Er wusste, dass er gegen die Gezeiten des Schicksals machtlos war. Er hatte sich von den Tränen eines entehrten Mädchens zur Ehe überlisten lassen. Der alte Trick. Damals kam noch kein Kind zur Welt, aber ein Jahr später wurde ein süßer kleiner Junge geboren. Kitty nannte ihn Tootsie, und als er 1919 an Spanischer Grippe starb, zerbrach etwas in ihr. Gideon konnte sich kaum noch an den kleinen Jungen erinnern, und er konnte sich auch kaum noch an die Zeit erinnern, als Kitty mit ihrem Schmollmund Liebe und Dankbarkeit bei ihm ausgelöst hatte. Das war alles schon so lange vorbei, dass Gideon es auf seiner Großen Zeittafel nicht mehr messen konnte. Er arbeitete auf die Gegenwart zu, wusste jedoch nicht, dass er sie niemals finden würde, da sie schon wieder Vergangenheit sein würde, wenn er sie erreichte.
    Wie manche Männer in den Saloon gingen, suchte Gideon Douglass den anonymen Trost der Stadtbibliothek. Dort las er und machte sich Notizen über die Große Zeittafel. In drei langen Spalten, die alle mit Adam und Eva begannen, synchronisierte Gideon weltliche Geschichte, biblische Geschichte und die Ereignisse auf dem nordamerikanischen Kontinent, wie sie im Buch der Mormonen beschrieben wurden. Die Tabellen waren lang, auf blauem Papier und genau bemessen. Immer, wenn er etwas Neues fand, das er noch auf die Zeittafel setzen wollte, musste er völlig von vorn anfangen.
    Groß, kräftig gebaut, breitschultrig, aber hoffnungslos bücherbesessen und halb blind, hatte Gideon Douglass nichts von der unbezwingbaren Geschäftigkeit Aftons, nichts von der intelligenten Zurückhaltung seiner Mutter, obwohl man ihm unter diesen Voraussetzungen die Stelle bei der Versicherung gegeben hatte. Er war schließlich Ruth Douglasses Sohn; sie war die erfolgreichste Frau in der Stadt, und ihr Restaurant war weithin bekannt. Aber es hatte sich herausgestellt, dass Gideon für den Außendienst nicht geeignet war, und jetzt machte er die Ablage im Hinterzimmer. Insgeheim fürchtete er, auch diese Stelle zu verlieren.
    Buster sprang auf und rannte Gideon fröhlich bellend entgegen, als dieser endlich nach Hause kam. Liebevoll begrüßte er den Hund. »Mein guter, alter Buster! Guter alter Junge! Guter Hund! Ja, du bist ein guter Hund, Buster.« Als er jedoch die Küche betrat, begrüßte er seine Frau und seine Kinder eher zerstreut. Er blickte zum kalten Herd, zum schmutzigen Geschirr, das sich in der Spüle türmte. Die Motte steckte in der blassen Margarine, Ameisen marschierten durch die Marmelade, seine Frau saß lesend am Tisch, und seine Kinder spielten auf dem Fußboden. Er setzte die Brille ab und putzte sie, eine Geste, die er immer machte, wenn er einen Anblick

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