Café Eden - Roman mit Rezepten
gekommen, und als Ende der 1880er der Bahnhof fertig gebaut worden war, waren sie geblieben, hatten ihre Frauen aus China oder San Francisco geholt, ihre eigene Sprache und Sitten gepflegt und sich arm und stolz von den anderen Einwohnern des Ortes ferngehalten.
»Die Chinesen sind in gewisser Hinsicht ja ein gebildetes Volk«, sagte Gideon auf seine gelehrte Art, »aber sie sind doch Heiden, und ihr Essen ist unzuverlässig.«
»Unzuverlässig?«, wollte Kitty wissen. »Was soll das heiÃen?«
In der Kirche hatte letzten Sonntag ein Heiliger zu Gideon eine Bemerkung darüber gemacht, dass er seine Tochter Eden in der Tram mit einem Beutel voller Essen von Kee angetroffen habe, und er wollte Gideon nur darauf aufmerksam machen, dass die Chinesen ihre Hunde kochten. Das wollte Gideon nicht sagen, deshalb erwiderte er nur: »Eden sollte nicht nach China Flats gehen, und ganz bestimmt nicht allein. Das tun ehrbare Mädchen nicht«, fügte er hinzu.
»Ehrbare Mädchen können überall hingehen. Mach dich nicht lächerlich!« Kitty lachte herzhaft, verzog aber dann finster das Gesicht.
Die Essensfrage, spürte Eden, eskalierte in einen Streit, der in Tränen und Vorwürfen enden würde. Ma würde vor Ohnmacht weinen, Pa bliebe stoisch vor Ohnmacht, und alle hätten Hunger. Ihre Eltern starrten sich böse an, und das Baby hatte angefangen zu weinen.
»Gib mir ein bisschen Geld, Pa. Ich gehe zu Mrs. Patterson. Sie ist gleich um die Ecke. Gib mir einen Vierteldollar.«
Gideon blickte sie verständnislos an. Dann wandte er sich an seine Frau, die anfing, sich lauthals zu verteidigen, dass Mrs. Patterson die Preise für Bohnen erhöht habe. »Vierzig Cent! Sieh mich doch nicht so an, als ob ich Geld hätte! Du bist doch der Ernährer, das behauptest du jedenfalls!«
»Bitte, Kitty, Liebes. Wo ist das Geld? Ich habe dir doch gerade vorgestern Haushaltsgeld gegeben? Wo ist es denn?«
Darauf konnte - oder wollte - Kitty keine Antwort geben.
Gideon, Kitty und Eden begannen, sämtliche Schubladen und Taschen zu durchwühlen, blickten unter die Stühle und neben die Kissen, und Eden krabbelte auf allen vieren dort herum, wo ihr Vater gestern Abend seine Hose ausgezogen hatte. Sie kam mit siebenundzwanzig Cents wieder in die Küche. Und schlieÃlich holte auch Gideon noch ein bisschen Geld aus seinem Versteck unter dem Tintenfass und gab es Eden, bevor er sich ins Schlafzimmer zurückzog, wo seine GroÃe Zeittafel auf ihn wartete. Eden rannte aus dem Haus, als das Telefon klingelte.
Kittys Auferstehungspastete â¢
Nimm alles, was du an Resten hast, und schneide es ganz klein. Schlag ein oder zwei Eier darüber und mische alles gut durch. Gib die Masse in eine Kuchenform, dekoriere sie mit Resten und würze mit Pfeffer und Salz. Backe so lange, bis die Masse Blasen wirft.
MOMENTAUFNAHME
Die Konvertierte
In Kittys Jugend in Liverpool war Auferstehungspastete ein Festmahl, da sie bedeutete, dass von einem anderen Essen etwas übrig geblieben war. Die meiste Zeit aà sie Brot mit einem Margarineersatz, der aus Unaussprechlichem bestand. Wenn sie Glück hatte, aà sie Brot mit Sauce, oder ganz selten einmal leckte sie ein wenig gebratenen Fisch und Senf von der Zeitung, in die sie eingewickelt gewesen waren. Das war in einem Laden in der Nähe des schmutzigen Ramsey Court, wo Kitty Tindall mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater, einem Hilfsarbeiter, im Liverpooler Hafen, lebte. Die meisten ihrer Geschwister starben an Auszehrung oder Typhus. Auszehrung dauerte länger. In der Wohnung gab es einen Untermieter, Wanzen, Flöhe, Ratten und Schaben zur Gesellschaft sowie Gin und Missbrauch zur Unterhaltung.
Kitty war nie die Lerche von Liverpool gewesen, das war eine Lüge. Es gab keine Familie auf der Bühne und auch keine Schwester, die gestorben war, weil sie feuchte Strümpfe getragen hatte. Kitty war das uneheliche Kind eines Mannes, der dann schnell zur See gefahren und auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Der Wendepunkt in ihrem Leben kam mit dem Alphabet; sie blieb lange genug in der Schule, um lesen zu lernen. Als sie es konnte, eröffneten sich ihr ganz neue Ausblicke. Sie war überzeugt, dass es die Welt der Liebesromane, die sie so mochte, tatsächlich gab, und in einem grauen, kalten, schäbigen Leben blühte Kittys Vorstellungskraft üppig.
Ãppig waren auch die Music Halls, und
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