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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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Erblichkeitslehre und Rassenhygiene. Nach der Machtergreifung im Jahr 1933 ernannte Hitler den Professor zum Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin.
    Die Eroberung Europas durch die Nazis (1939-1942) schuf für Fischer, mit Hitlers nachdrücklicher Unterstützung, optimale Voraussetzungen, seine Jahrzehnte zuvor in Namibia begonnenen Rassenforschungen auszuweiten. Im Konzentrationslager Gurs im von den Nazis besetzten Südwestfrankreich machte sich Fischer an die eingehende Untersuchung verschiedener europäischer Volksgruppen: Basken, Zigeuner, Juden usw.«
    Inzwischen hatte Simon begonnen, sich eifrig Notizen zu machen. Sein Blick wanderte zwischen Bildschirm und Notizblock hin und her. Und weiter:
    »Das Nazi-Regime pumpte sehr viel Geld in die >medizinische Abteilung< von Gurs. Gerüchten zufolge kam es im Zug der sogenannten Fischer-Experimente zu Entdeckungen von enormer Tragweite. Die Daten, die Fischer in Gurs gewonnen hatte, gingen im Chaos der Alliierten-Invasion in Europa und des Untergangs des Dritten Reichs (1944-1945) verloren. Es konnte nie schlüssig nachgewiesen werden, dass die Fischer-Experimente zu wissenschaftlich brauchbaren Ergebnissen geführt hatten. Heute geht die gängige Meinung dahin, dass die Gerüchte von rassischen Entdeckungen reine Nazi-Propaganda waren und Fischers Forschungen nichts von Bedeutung ergeben hatten.«
    Die letzte Phase von Fischers Leben war sogar noch geheimnisumwitterter.
    »Viele Menschen nahmen mit Unverständnis zur Kenntnis, dass Eugen Fischer nach der Zerschlagung des Dritten Reichs durch die Alliierten einer ernstzunehmenden Bestrafung für seine enge Zusammenarbeit mit den Nazis und seiner in ihrem Auftrag erfolgten Forschungstätigkeit entging. Stattdessen wurde er später Professor emeritus an der Universität Freiburg und 1952 Ehrenmitglied der neu gegründeten Deutschen Anthropologischen Gesellschaft.
    Diese enorme Nachsicht gegenüber einem Wissenschaftler, der als Begründer und Mentor der nationalsozialistischen Rassenpolitik galt, war keineswegs ein Einzelfall. Viele Kollegen und Mitarbeiter Fischers in Gurs und an anderen Orten entgingen ebenfalls einer Bestrafung oder mussten lediglich ein paar Wochen der Entnazifizierung im Gefängnis über sich ergehen lassen. So konnte zum Beispiel Professor Dr. Fritz Lenz, Leiter des Instituts für Eugenik in Berlin-Dahlem und Koautor der Schlüsselwerke zur nationalsozialistischen Rassentheorie, unmittelbar nach dem Krieg seine Tätigkeit wieder aufnehmen und erhielt den Lehrstuhl für menschliche Erblehre an der Universität Göttingen.«
    Die letzten Fakten waren so unerhört, dass Simon diesen Abschnitt zweimal las. Und dann noch einmal. Schließlich überprüfte er die Informationen auf einer anderen Internetseite, auf der sie sich im Wortlaut wiederfanden, auf ihre Richtigkeit.
    Im Wortlaut? Simon begann sich schon zu fragen, ob diese ungeheuerliche Behauptung einfach eine Unwahrheit war, die sich mit Hilfe der laxen wissenschaftlichen Standards des Internets immer weiter hatte perpetuieren können.
    Er stand auf und ging ins Wohnzimmer. Dort spielte Conor im Bann der Abenteuer der Diesellokomotive Thomas mit seinen Spielsachen.
    Simon blieb vor dem riesigen Bücherregal stehen. Da, ganz oben, auf dem obersten Bord, überzogen vom Staub der letzten zehn Jahre, war die alte Encyclopedia Britannica seines Vaters. Simon zog den entsprechenden Band heraus und schlug rasch unter Lenz, Fritz nach.
    Es stimmte. Dieses Monster, dieser Unmensch, dieser Vertreter der Rassenhygiene, dieser Freund Mengeies, dieser Nazi-Ideologe hatte 1946 die Arbeit unbehelligt wieder aufnehmen können. Nicht einmal ins Gefängnis war er gekommen. Die Alliierten hatten ihn nicht eingesperrt.
    Warum hatte man all diese Ärzte einfach … laufen lassen?
    Er zerzauste seinem Sohn das blonde Haar, dann kehrte er in sein Arbeitszimmer zurück und schloss die Tür. Es begann in ihm zu brodeln. Das Geheimnis erwachte zum Leben, aber noch lag es eingerollt wie eine träge Schlange da, eine zischende Kobra. Und was sich in seiner Mitte befand, war noch verborgen.
    Der Nachmittag neigte sich seinem Ende zu. Simon ging noch einmal alle Fakten durch, indem er sie in einer an sich selbst adressierten Mail niederschrieb - eine bewährte Methode, wenn er ein Rätsel zu lösen versuchte. Wie ein Maler, der sein Bild auf den Kopf stellt, um es ganz unvoreingenommen zu betrachten, um die Schwachstellen zu erkennen und seine Qualität zu

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