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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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lebensfeindlicher Dürre. Sanddünen, nichts als Sanddünen.
    Es war Angus, der schließlich das Schweigen brach. Es war, als hätte tagelang keiner ein Wort gesprochen.
    »Jetzt sind wir im Namib-Naukluft«, erklärte er. »Das ist wieder eine richtige Wüste. So geht es jetzt Hunderte von Kilometern weiter.«
    David blickte in die endlose Öde hinaus. Von den elegant geschwungenen, rötlich gelben Kämmen der mächtigen Dünen pfiff feiner Staub; die vollkommen flachen Salzpfannen dazwischen waren von der Sonne zu gespenstischem Weiß verbrannt; und in messerscharfem Kontrast dazu, wie einem Albtraum entsprungen, ragten die schwarzen Skelette abgestorbener Bäume auf.
    Schluss jetzt. Mit einem letzten Schaudern riss sich David aus seinen bedrückenden Gedanken. Die entsetzlichen Bilder, die sich in seinem Kopf festsetzten, waren unerträglich. Und doch, etwas reimte sich in dieser Kakophonie des Grauens: Es gab eine Harmonie darin, beängstigend zwar, aber dennoch eine echte Harmonie.
    Er fügte die Bilder in seinem Kopf zusammen: Miguel, der Alphonses Fleisch essen wollte; das stammelnde Geständnis des alten Garovillo kurz vor seinem Tod: »Miguel ist mit der wahren Schande der Cagots geschlagen.« Und schließlich die grässliche Leichenflüssigkeit im Keller des Cagot-Hauses.
    Sollten die verflüssigten Leichen etwa gar nicht zu dem Zweck in dem luftdicht abgeschlossenen Kellerraum gelagert worden sein, um Infektionen zu verhindern, sondern … um sie zu konservieren?
    Als Nahrung?
    David nahm einen Schluck Wasser, dann fragte er Nairn ganz direkt: »Angus, waren die Cagots …«
    »Ja, was?«
    »Waren sie … Kannibalen?«
    Amy schlug die Hände vors Gesicht und starrte David fassungslos an.

39
     
    Sie fuhren mindestens einen Kilometer, ohne dass Angus irgendetwas sagte. David versuchte es noch einmal. Wieder Schweigen. David stellte die Frage ein drittes Mal. Diesmal räusperte sich Angus und sagte mit ungewohnt gepresster Stimme, so als fiele ihm das Sprechen wegen des Wüstenstaubs schwer: »Wie kommst du denn darauf?«
    Eigentlich wollte David nicht sagen: Weil ich gesehen habe, wie Miguel deinen Freund tranchiert hat. Aber er fand, er hatte keine Wahl. Um den Schock etwas abzumildern, schickte er seiner Antwort ein paar warnende Worte voraus. Doch dann erzählte er dem Schotten alles: die Szene mit Miguel am Feuer, die Ereignisse im Cagot-Haus, die im Keller gelagerten Leichen.
    Angus starrte durch das Autofenster stumm in die Verlassenheit der großen Namib-Wüste hinaus. Dann sagte er, ohne sich vom Fenster abzuwenden:
    »Ja, natürlich. Nur deshalb hat auch der Trick mit dem Rauch funktioniert.«
    »Wie bitte?«, unterbrach ihn Amy. »Wieso das denn?«
    »Es kommt mir fast… ein bisschen gemein vor. Jetzt darüber zu sprechen. Die Cagots sind fast ausgestorben. Warum dann noch schlecht über sie reden?«
    »Aber …«
    »Du hast richtig vermutet. Nein, du hast es sogar mit eigenen Augen … gesehen. Warum sollte ich euch also noch länger etwas vormachen? Ja, es stimmt. Miguel ist kannibalisch veranlagt. Weil er Cagot ist. Das ist bei ihnen erblich bedingt.« Er beugte sich vor. »Die Cagots waren Kannibalen.«
    Amy schüttelte den Kopf.
    »Das … das musst du uns genauer erklären.«
    »Sie wurden im Frühmittelalter beschuldigt, Menschenfleisch zu essen, ein Vorwurf, der hartnäckig an ihnen hängenblieb. Es hätte natürlich pure Erfindung sein können, ähnlich diesem Gerücht von den angeblichen jüdischen Ritualmorden - aber es stimmte tatsächlich. Sie waren wirklich … der Same der Schlange, der Kanaansfluch. Eine Volksgruppe, die anders war als alle anderen, ein Volk von Verfluchten. Es trifft alles zu.«
    »Wie bitte? Das kann doch nicht dein Ernst sein!« Amys Gesicht war blass vor Entrüstung; ihr Gesicht wurde vom gelben Sand des Namib-Naukluft hinter dem Autofenster eingerahmt. »Eloise? Sie ist doch kein Monster. Außerdem hat sie nie etwas Derartiges erwähnt.«
    »Wundert dich das etwa?«, entgegnete Angus sarkastisch. »Das ist schließlich das schreckliche Geheimnis der Cagots. So etwas erzählt man nicht eben mal en passant seinen Nachbarn: Kommen Sie doch mal zum Essen vorbei; und bringen Sie am besten einen ordentlich fetten Freund mit…«
    »Aber ist das denn auch wissenschaftlich belegt?« David lenkte den Wagen zwischen zwei abgestorbenen Bäumen hindurch. »Ich meine, Kannibalismus, wie soll sich so etwas im Zuge der Evolution … herausbilden?«
    Angus runzelte die

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