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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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An große schwimmende rote Wunden.«
    Angus sah David an. Dann fügte er aufgewühlt hinzu: »Ich habe ihn einfach sterben lassen. Oder etwa nicht?«
    »Wen?«
    »Alfie. Meinen kleinen Alfie. Ich habe zugelassen, dass er ihn umgebracht hat… dieses Schwein Miguel.«
    »Nein, Angus. Du hast ihn zu retten versucht.«
    »Aber es ist mir nicht gelungen. Es ist mir nicht gelungen …«
    Plötzlich wirkte der Schotte sehr verletzlich; verschwunden waren die Chuzpe, das hartnäckige Lächeln, das unerschütterliche Selbstbewusstsein. In seinem Gesicht arbeitete es, er war den Tränen nahe.
    »Ich hätte ihm gern zu einem weniger qualvollen Tod verholfen! Ich habe mir den Kopf zerbrochen und später sogar eine Möglichkeit gefunden. Die Euphorbia. Allerdings zu spät.« Der Schotte kniete nieder und hob eine Muschel auf, eine rosa und gelb geäderte Spirale aus cremefarbenem Porzellan mit einem Faden aus zartestem Rot. Zart und verletzlich.
    Die Muschel lag in seiner Handfläche. Angus blickte auf sie hinab und sagte mit tränenerstickter Stimme, fast schluchzend: »Darum glaube ich an Gott, David. Sieh dir doch nur mal diese Muschel an. Warum ist sie so schön? Warum? Ihre Schönheit ist vollkommen sinnlos. Ohne jeden Zweck. Warum eine Muschel so schön gestalten? Wer steckt hinter dieser Dreingabe? Wozu das Ganze? Es ist völlig überflüssig. Die Evolution neigt per se zum Überfluss, zum Exzess. Genau das ist der Punkt, in dem die Kreationisten falschliegen: Das Universum ist nicht minutiös geplant - es ist Ausdruck überschäumender Schaffensfreude.«
    Er ließ die Muschel fallen. Kickte sie weg. Wieder wusste David nicht, was er sagen sollte.
    Angus redete weiter.
    »Ich habe vorhin gelogen, David.«
    »Wann?«
    »Beim Frühstück. Was ich da gesagt habe, stimmt nicht.«
    »Was stimmt nicht?«
    »Dass sie nicht an den Wachen vorbeikommen. Die Piusbruderschaft.«
    »Und das heißt …?« Der Gedanke überkam David mit niederschmetternder Unausweichlichkeit. Miguel machte immer noch Jagd auf sie.
    »Nathan ist zu sehr von sich eingenommen, um auf mich zu hören. Ich habe es ihm bereits klarzumachen versucht, aber er wollte nichts davon wissen. Er glaubt, er wäre hier, im Sperrgebiet, unangreifbar. Er bildet sich ein, in der Festung seiner Dynastie könnte ihm niemand etwas anhaben. Die mächtigen Kellermans des Sperrgebiets. Aber er ist hier ganz und gar nicht sicher. Kellerman Namcorp ist zwar mächtig, aber so mächtig auch wieder nicht. Die katholische Kirche? Wenn sie es auf uns abgesehen hat, wird sie auch eine Möglichkeit finden, an uns ranzukommen.« Angus’ Haar glänzte in der Sonne wie Kupfer. »Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Denn sie werden kommen, da bin ich ganz sicher. Morgen, in ein paar Tagen, nächste Woche. Während wir uns hier unterhalten, sind sie bereits auf der Suche nach uns.«
    David blickte über den matten Silberglanz des Meers. Angus hatte recht. Sie mussten sich Gedanken machen, wie sie sich nötigenfalls aus dem Staub machen konnten.
    Der heiße Wind trug das Bellen der Robben zu ihnen. Von einer der näheren Inseln drang das Schnattern einer Pinguinkolonie herüber. Es war eine Welt voll unbemerkter Schönheit, einer Schönheit des Nichts. Niemand sah diese Wunder jemals: den toten Quarz und die glitzernde Asche, die Achate und die vergrabenen Sandrosen.
    Plötzlich spürte David, dass sie beobachtet wurden. Er blickte auf das tiefblaue Meer hinaus. In dem kleinen Fischerboot stand ein Mann mit einem Fernglas. Er schaute in ihre Richtung.
    Und dann sah David, dass ein zweiter Mann neben ihm stand. Und dieser Mann deutete. Auf sie. Nein, der Mann deutete nicht.
    David spürte das unangenehme Prickeln panischer Angst. Denn jetzt merkte er, dass der Mann etwas auf sie richtete. Ein langes schwarzes Gerät. Und es zeigte direkt auf sie.
    Angus rannte bereits auf die schützenden Felsen zu.
    »Lauf! David! Schnell!«
    Aber David blieb wie angewurzelt am Strand stehen und schaute entsetzt aufs Meer hinaus.
    Fauchend schoss die erste Rakete durch den strahlend blauen Himmel.

42
     
    Die wallenden Feuerbälle waren riesig: monströse schwarze Wolken, von satanischem Gelb und Rot durchsetzt. Türme aus beißendem Rauch stiegen in den Himmel. »Amy! Amy!«
    David kroch über den Wall aus Sand. Von dem weitläufigen Gebäudekomplex war nichts mehr zu sehen. An seine Stelle war eine Wand aus Feuer und Zerstörung getreten; die Luft bebte von der Hitze des Flammenmeers; Nachexplosionen

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