Cagot
achten und neunten Jahrhundert mit dunkelhäutigen sarazenischen Soldaten mischten. Schon allein deshalb waren sie im streng katholischen Spanien von Anfang an extrem isoliert - und dazu noch mit dem fatalen Beigeschmack der Ungläubigen behaftet.
Sie wurden massiv ausgegrenzt. Und im siebzehnten Jahrhundert nahm diese Ächtung sogar mörderische Züge an. Cagots wurden an Kirchentüren genagelt. Eine Begleiterscheinung dieser Verfolgung und der daraus resultierenden Ausgrenzung war die Zunahme erblicher Störungen bei den Cagots …«
»Für die sie aber nichts konnten«, flocht David ein.
»Nein, natürlich war das nicht ihre Schuld«, antwortete Simon mit einem erstaunten Stirnrunzeln. »Tragischerweise war jedoch die Unterstellung, dass sie zu psychotischen Störungen, Kretinismus und sogar Kannibalismus neigten, nicht gänzlich unbegründet. Viele Cagots litten an Syndromen, die zu bizarrem und sogar abstoßendem Verhalten führten.«
»War das der Grund, warum der König von Navarra anordnete, sie zu untersuchen?«, fragte Amy. »Um zu sehen, ob die Cagots wirklich >anders< waren?«
»Ja. Dazu kam, dass den Ärzten des Königs, so niedrig der damalige Stand der Wissenschaft auch gewesen sein mochte, die Syndaktylie, die zusammengewachsenen Finger und Zehen, und andere physiologische Auswirkungen der Inzucht unter den Cagots natürlich nicht entgangen waren. Und sie zogen daraus den Schluss, dass sich die Cagots tatsächlich in signifikantem Maß vom Rest der Menschheit unterschieden.«
Simon blätterte in seinem Notizbuch eine Seite weiter.
»Diese Entdeckung kam auch dem Papst und seinen Kardinälen in Rom zu Ohren. Für die Kirche war es eine undenkbare Vorstellung, dass Gott tatsächlich den Samen der Schlange hervorgebracht haben könnte - sprich: neue Arten von Menschen, andersartige Menschen, Menschen, die keine richtigen Menschen waren. Das hätte die gängige katholische Lehre, der zufolge der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen ist, in ihren Grundfesten erschüttert. Wie kann Gott zwei Ebenbilder haben? Zweierlei Kinder? Wäre das bekannt geworden, hätte es nicht nur als Rechtfertigung für die unerbittliche Verfolgung eines christlichen europäischen Volks gedient - es hätte die gesamte katholische Glaubenslehre in Frage gestellt.«
»Nicht nur die katholische«, flocht Angus ein. »Die gesamte christliche Glaubenslehre.«
»Deshalb war die Kirche so sehr darum bemüht, der Verfolgung der Cagots ein Ende zu machen. Und aus demselben Grund beschloss auch die spanische Inquisition, die baskischen Hexenverbrennungen zu unterbinden. Die katholische Elite hatte ein starkes Interesse daran, dass der >Chor der Christenheit< unteilbar bliebe. Basken und Cagots wurden in den Schoß der Menschheit zurückgeführt. Dessen ungeachtet hielten sich innerhalb der Kirche weiterhin Strömungen, die hartnäckig den apokryphen Kanaansfluch-Theorien anhingen. Insbesondere in der niedrigen Geistlichkeit, in der Landbevölkerung und in einigen der besonders strengen Mönchsorden wie den Dominikanern.
Immer darauf bedacht, ein Schisma zu vermeiden, willigte der Vatikan in einen Kompromiss ein. Die wichtigsten und umstrittensten Dokumente - die sich auf die Hexenverbrennungen, die medizinischen Untersuchungen der Cagots und die daraus resultierenden päpstlichen Vermittlungsbemühungen bezogen - wurden nicht vernichtet, sondern, für die Öffentlichkeit unzugänglich, im Archivdes Angelicums aufbewahrt, der von Dominikanern geführten päpstlichen Universität in Rom. Jahrhunderte später, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wurden sie in ein neu gebautes Kloster in Frankreich verlegt.«
»Das wiederum«, ergänzte Angus, »von einem Architekten, der mit den Rechten sympathisierte, ausdrücklich zu dem Zweck erbaut worden war, für diese Dokumente ein sicheres Versteck zu schaffen. Richtig?«
»Und dazu ein Meisterwerk an Funktionalität war«, fügte Simon hinzu, »das ein solches Maß an Unbehaglichkeit verströmte, dass die Mönche reihenweise verrückt wurden.«
Amy schaute immer noch aus dem Fenster. Die Strickjacke war von ihren Schultern gerutscht und entblößte ihre sonnengebräunte nackte Haut. Zart und golden und anschmiegsam.
David heftete den Blick wieder auf die Straße. Simon hob sein Notizbuch.
»1907 reiste Eugen Fischer, ein hochbegabter junger deutscher Anthropologe, in die menschenleere und diamantenreiche Kolonie Deutsch-Südwestafrika, das heutige Namibia. Er trat dabei in die
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