Cagot
durchforstete?
Er hatte aufgehört, mit ihr zu schlafen. Er war nicht mehr dazu in der Lage. Sie waren wild, verspielt, extrem leidenschaftlich gewesen. Und jetzt? Jetzt sah er sich nur noch als Monster, das sie biss, so fest, dass ihr weißes weibliches Fleisch zu bluten begann.
Es war ein erschreckender Abgrund, der sich da vor ihm auftat, doch er musste unbedingt bis auf seinen dunklen Grund vordringen, wenn er sich über sein wahres Selbst Klarheit verschaffen wollte. Und für die entscheidenden Stunden, die ihm jetzt bevorstanden, brauchte er seine letzten Reserven an Gleichmut. Für die entscheidenden Tage, die entscheidenden Minuten.
15.07,15.08,15.09.
Vielleicht kam Simon ja gar nicht. Sie hatten ihm nur ein einziges Mal aus Amsterdam gemailt - und umgehend eine Antwort erhalten: Ja.
In Davids Posteingang war noch eine andere Mail gewesen, eine völlig unerwartete Mail: von Frank Antonescu aus Phoenix. Der ehemalige Anwalt seines Großvaters hatte Nachforschungen angestellt und schließlich mit Hilfe eines Bekannten bei der Bundessteuerbehörde IRS, der ihm anscheinend einen Gefallen schuldete, »nach einigem Wühlen und Suchen« herausgefunden, woher das Geld stammte.
Von der katholischen Kirche.
Summen in dieser Höhe wurden laut Antonescu »unmittelbar nach dem Krieg nicht nur an Ihren Großvater, sondern auch an mehrere andere Personen ausgezahlt. Es wurde als >Gurs-Geld< bezeichnet - warum, weiß ich nicht. Und auch mein Bekannter beim IRS hatte keine Erklärung dafür.«
Das war auf jeden Fall eine weitere Antwort, die eine tragende Funktion in dem allmählich entstehenden Lösungsgebäude hatte. Aber enthüllt würde das fertige Bauwerk erst, wenn sie in Zbiroh eintrafen. Und Fischers Forschungsunterlagen fanden.
15.16,15.17,15-18.
Würde Simon überhaupt noch kommen? War ihm vielleicht etwas zugestoßen? War Miguel etwa schneller gewesen?
»Da!« Amy deutete den Bahnsteig hinunter.
Ein leicht zerzauster, atemloser, sommersprossiger blonder Mann um die vierzig kam auf sie zugelaufen. Er sah Amy und David an…
»David Martinez?«
»Simon Quinn?«
Der Journalist bedachte die drei Wartenden mit einem scheuen Lächeln.
»Sie müssen Amy sein. Und Sie …«
»Angus Nairn.«
Hände wurden geschüttelt, und alle machten sich förmlich miteinander bekannt. Doch dann sahen sich David und Simon lange eindringlich an, und beiden wurde im selben Moment die Absurdität ihrer Förmlichkeit bewusst. Sie umarmten sich. David schloss diesen Mann, dem er nie zuvor begegnet war, in die Arme wie einen verschollenen Bruder. Oder wie den Bruder, den er nie gehabt hatte.
Kurz darauf drängte sich ihre extreme Anspannung wieder in den Vordergrund.
»Miguel ist nach wie vor hinter uns her …«, brachte Amy ihnen in Erinnerung.
Seit ihrer Flucht aus Namibia schien Amys Angst vor Miguel noch zugenommen zu haben. Möglicherweise, mutmaßte David, war auch das ein Grund für ihre Niedergeschlagenheit. Vielleicht hatte Miguels Hartnäckigkeit sie so entmutigt, dass sie sich irgendwann in die Unabwendbarkeit seines Triumphs gefügt hatte. Bisher hatte er sie am Ende doch immer wieder aufgespürt, und deshalb würde er sie auch dieses Mal finden - und sein Vorhaben endgültig zum Abschluss bringen.
Außer es gelang ihnen, als Erste an Fischers Daten zu kommen.
Sie gingen rasch zu ihrem Leihwagen und fuhren in Richtung tschechische Grenze los. Unterwegs erzählte ihnen Simon, dass sein Bruder wahrscheinlich von der Piusbruderschaft gefangen gehalten wurde. Entführt und gefoltert. Tiefe Sorge und heftige Schuldgefühle zeichneten sich auf Simons Gesicht ab, und als er schließlich zum Ende kam, trat erst einmal langes Schweigen ein. Auch das Schicksal von Simons Bruder Tim lag jetzt in ihren Händen. Die Last auf ihren Schultern wurde immer schwerer.
Sie näherten sich der Grenze, dem ehemaligen Eisernen Vorhang. Von den Wachtürmen und Stacheldrahtbarrieren aus der Zeit des Kalten Kriegs war jedoch nichts mehr zu sehen. Die Grenzstation bestand aus weitläufigen modernen Glasbauten - aber auch sie waren bereits wieder überflüssig und verlassen. Sie wurden nicht kontrolliert und konnten einfach passieren.
Es war Simon, der schließlich das Schweigen brach.
»Warum Nürnberg? Warum haben wir uns dort getroffen?«
Angus erklärte ihm, dass sie sich für die Anonymität einer großen Stadt nicht weit von der Grenze zur Tschechischen Republik entschieden hatten, um mögliche Verfolger abzuschütteln.
Simon
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