Cagot
in Gurs entdeckt hatten. Denn ausgerechnet in jüngster Vergangenheit, als die Wissenschaft auf dem besten Weg war, diesen Rückstand aufzuholen, formierte sich heftiger Widerstand gegen alles, was sich mit der Unterschiedlichkeit der menschlichen Rassen befasste und auch nur im Entferntesten nach Eugenik aussah. Das Human Genome Diversity Project in Stanford wurde auf den massiven Druck westlicher Regierungen - und der Kirche - eingestellt.«
»Deshalb setzten die Kellermans ihre Hoffnungen auf GenoMap?«
»Richtig. Die Untersuchungen, die wir bei GenoMap durchgeführt haben, wurden direkt von Kellerman Namcorp finanziert und gefördert. Als Dresler, dieser alte Nazi-Arzt, in den neunziger Jahren von Davids Vater enttarnt wurde, floh er nach Namibia und beriet GenoMap bei deren Forschungsbemühungen, mit denen man an Fischers Arbeit anknüpfen wollte. Er schlug sogar vor, noch einmal das Blut derselben Leute zu untersuchen: das der Überlebenden von Gurs, insbesondere der Cagots.
Und das Schönste ist«, fuhr Angus fort, »wenn Fazackerly den Mund gehalten hätte, wäre dieser Plan sogar aufgegangen. Aber dann brüstete er sich auf einem Kongress in Frankreich damit, dass er Eugen Fischers Experimente erfolgreich wiederholen würde. Ich war selbst dabei. Es war eine Katastrophe. Und das war vermutlich auch der Punkt, an dem die katholische Kirche auf den Plan gerufen wurde. Sie setzte die Piusbruderschaft auf die Sache an. Das ist, wie wir alle wissen, zum einen ein fanatischer Haufen, der vor nichts zurückschreckt. Zum anderen kannten sie das Geheimnis von Gurs bereits, sodass keine weiteren Personen eingeweiht werden mussten. Die Anfänge der Bruderschaft reichen bis in die Zeit der Vichy-Regierung zurück.«
Simon warf einen kurzen Blick in Davids Richtung, bevor er wieder seine Notizen zu Rate zog.
»Sympathisanten der Bruderschaft hatten frühere Versuche, das Geheimnis von Gurs aufzudecken, bereits mit Erfolg vereitelt. Als deine Eltern, David, nichts von all dem ahnend, nach Frankreich kamen, um die Wahrheit über die baskische Abstammung der Martinez’ herauszufinden, wurden sie kurzerhand …«
Amys Stimme war ungewohnt erregt, als sie Simon unterbrach. »Und die Piusbruderschaft hatte sich genau die richtigen Leute ausgesucht, um die Drecksarbeit für sie zu erledigen: ETA-Terroristen wie Miguel. Einfach perfekt! Ein bestens ausgebildeter Killer, der zugleich gläubiger Katholik ist und einen tiefen Hass gegen die Cagots hegt.«
Angus ging zu einer der Kisten und entnahm ihr ein Dokument mit schwarzen Prägedruck-Hakenkreuzen, die aussahen wie futuristische Lauburus.
»Hört sich durchaus einleuchtend an …«, bemerkte David zögernd. Er versuchte, nicht an seine Eltern und an seinen Großvater zu denken, er versuchte, an überhaupt nichts zu denken. Stockend fuhr er fort: »Dass sie ihn für ihre Zwecke eingespannt haben. Miguel, meine ich. Den Wolf. Denn er kannte sich ja auch bestens aus in dieser Region, im Baskenland, wo viele Cagots und Gurs-Überlebende lebten …«
Simon kam zum Ende der Geschichte.
»Es ging also wieder mit den Morden los. Mehrere Gurs-Überlebende wurden gezielt umgebracht. Von den wenigen noch lebenden Personen, die erwiesenermaßen Cagots waren, wurden einige nur aus dem einzigen Grund umgebracht, dass sie zur Volksgruppe der Cagots gehörten.« Er blickte sich in dem schwach beleuchteten unterirdischen Raum um und klappte sein Notizbuch zu. »Und das ist das tragische Schicksal der Cagots. Sie mussten ausgerottet werden. Denn sie waren der lebende Beweis dafür, dass es auch bei Menschen Speziation gibt, eben die Speziation, die möglicherweise eines Tages bei den Juden eintreten wird. Wenn man nun aber alle Cagots ausrottete und dazu all die, die nachweislich von Cagots abstammten, gäbe es keine Beweise mehr für das Eintreten einer Speziation. Sobald keine Cagots mehr existierten, könnten Fischers Experimente nicht mehr wiederholt werden. Die katholische Lehre wäre nicht mehr anfechtbar, die gemischtrassige Demokratie nicht mehr gefährdet. Und deshalb mussten die letzten noch lebenden Cagots sterben.«
Alle setzten sich zurück.
»Das war’s mehr oder weniger«, sagte Simon. »Totaler Wahnsinn.«
»Okay«, sagte David. »Dann aber nichts wie weg hier. Das Rätsel ist gelöst. Jetzt haben wir ein Druckmittel. Das Licht kann jeden Moment ausgehen …«
Angus hielt das letzte Dokument in der Hand.
»David, schau dir das mal an.«
Eisige Angst kroch in
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