Cagot
also beim letzten Kapitel angelangt.«
»Los, nun mach schon.«
»Fischers erste erstaunliche Entdeckung war: Es gibt bei Menschen tatsächlich Speziation. In Europa. Mitten unter uns. Und es waren die Cagots, bei denen es zu diesen gravierenden Veränderungen gekommen war.
Infolge ihrer sprachlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Isolation hatten sich die Cagots zu einer neuen Menschenart entwickelt. Zu einer neuen Spezies. Es war ihnen zwar, wenn auch unter Schwierigkeiten, weiterhin möglich, mit ihren nahen Verwandten, Homo sapiens, Kinder zu zeugen - aber sie waren bereits dabei, genetisch immer weiter abzudriften. Fischer ging davon aus, dass die Cagots infolge dieser Fortpflanzungsprobleme schon innerhalb weniger Generationen aussterben würden. Der Speziationsprozess, in dessen Verlauf sie sich von Homo sapiens fortentwickelten, würde also fehlschlagen.
Als Fischer den Führer darüber in Kenntnis setzte, nahm dieser die Nachricht begeistert auf. Damit hatte er endlich den Beweis, dass die nationalsozialistische Rassenlehre nicht nur, wie ihre Gegner immer behauptet hatten, auf ideologisch verbrämten Theorien basierte, sondern auf biologischen Tatsachen. Es gab tatsächlich Unterschiede zwischen den Rassen, und diese Unterschiede waren sogar größer, als Hitler angenommen hatte. Und diese spezielle Speziation fand sogar mitten in Europa statt. Bei den Cagots …«
In David begann es zu arbeiten. Aber er wollte nicht an die dunklen Geheimnisse denken, die in den Tiefen seiner Seele schlummerten. Die ihn aus der Gemeinschaft der Menschen verstießen, ihn unter dem Beton seiner Schande begruben.
Simon blätterte eine Seite weiter.
»1941 wurde der Ton der Korrespondenz zwischen dem Führer und seinem Lieblingswissenschaftler geradezu euphorisch. Um Fischers Forschungsprojekt schneller voranzutreiben, floss immer mehr Geld in das Lager. Hitler wollte den endgültigen Beweis, dass die Deutschen in der Hierarchie der Rassen, die sich jetzt herauszukristallisieren begann, die führende Stellung einnahmen. Doch dann machte Fischer in Gurs eine Entdeckung, die dem Ganzen noch größere Tragweite verlieh. Er prognostizierte, der Prozess, den er an den Cagots beobachtet hatte, würde sich wiederholen, und wies Hitler darauf hin, dass sich in Kürze eine weitere Spezies auf ähnliche Weise von Homo sapiens abspalten würde, wie das die Cagots bereits getan hatten.«
Amy unterbrach ihn.
»Die Juden.«
»Genau, das geht aus diesen Unterlagen hervor.« Simon deutete auf eine der offenen Kisten. »Wegen ihrer religiös bedingten Selbstabgrenzung und ihrer Ablehnung jeglicher Vermischung - wodurch die genetische Isolation vom Rest der Menschheit noch zunahm - waren die aschkenasischen Juden auf dem besten Weg, sich zu einer neuen Subspezies, wenn nicht sogar zu einer gänzlich neuen Spezies mit einem eigenen Genotyp zu entwickeln. Das alles hat Fischer Hitler schriftlich mitgeteilt. In diesem Schreiben hier.« Er hob das Schriftstück kurz hoch, um sich dann wieder seinen Notizen zuzuwenden.
»Fischer wies Hitler darauf hin, dass die Ausgrenzung der Juden durch die Nazis die Chancen und das Tempo ihrer Speziation paradoxerweise sogar erhöhen würde. Als Fischer diese Informationen an Hitler weiterleitete, wusste er, dass der Führer begeistert wäre über diesen Beweis für die Andersartigkeit der Juden. Das Problem dabei, wie Fischer Hitler gegenüber widerstrebend zu verstehen gab, war allerdings, dass sich die Juden in mehrfacher Hinsicht zu einer überlegenen Spezies entwickelten. Mit Sicherheit in Hinblick auf ihre Intelligenz. In diesem Punkt waren sie sogar den Deutschen überlegen.«
Simon blätterte weiter. »Und wie war es dazu gekommen? Die im Talmud verankerten Lehren und Gebräuche hatten im Lauf der Jahrhunderte dazu geführt, dass die Gelehrten in der jüdischen Gesellschaft zunehmend an Ansehen gewannen. Daher war es im mittelalterlichen Europa für ein jüdisches Mädchen wesentlich erstrebenswerter, einen klugen Rabbi zu heiraten, als einen erfolgreichen Kaufmann oder einen wohlhabenden Goldschmied.«
»Das heißt, es waren die Cleveren, die mehr Kinder bekamen, und nicht die Großen und Starken.« Simon nickte in Richtung Amy.
»Die genetische Evolution der Juden zielte auf eine immer höhere Intelligenz ab. Judenpogrome verstärkten diesen Effekt nur. In Zeiten massiver Anfeindung und Verfolgung überlebten nur die klügsten und anpassungsfähigsten Juden: die weniger intelligenten
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