Cagot
Auto stehen und gingen zum nächsten Hotel, einer einfachen, aber netten Zwei-Sterne-Unterkunft nicht weit vom Stadtplatz, mit einer französischen Geschäftsführerin Mitte fünfzig. Die langen lackierten Fingernägel der Frau sahen aus wie purpurne Krallen.
»Bonsoir! J’ai deux chambres … mais trespetites …«
»Wunderbar«, sagte David, der versuchte, nicht auf die Klauen der Frau zu schauen.
Der Lift war wohl der kleinste Aufzug der ganzen Gascogne. Ohne noch etwas essen zu gehen, gingen sie auf ihre Zimmer. David konnte zwar schlafen, aber nur unruhig. Er träumte die ganze Nacht. Er träumte, dass das Haus brannte. Aus den Flammen heraus kamen Stimmen, die David anflehten, ihnen zu helfen - aber er konnte nichts tun. Er stand im Garten und starrte hilflos auf das lodernde Haus, auf die an den Wänden emporzüngelnden Flammen, und dann sah er in einem Fenster ein schwarz verkohltes Gesicht. Es war seine Mutter. Sie war in dem brennenden Haus und klopfte gegen die Fensterscheibe; sie versuchte, ihren Sohn zu berühren, und sie sagte: Es ist nicht deine Schuld, David, es ist nicht deine Schuld, und plötzlich begannen laute Kirchenglocken zu läuten, und David … … wachte auf.
Schweißüberströmt.
Aber es waren keine Kirchenglocken.
Schweißüberströmt.
Es war das Hoteltelefon. Den Schleim weghustend, griff er benommen nach dem Hörer. »David? Hallo?«, erklang Amys Stimme durch das Telefon. Es war neun Uhr vormittags.
Er duschte, zog sich an und ging nach unten. Amy sah ihn forschend an, als er zum Frühstück auf die Hotelterrasse kam, von der man einen herrlichen Blick auf den Fluss hatte.
Er platzte sofort damit heraus.
»Ich habe schlecht geträumt. Irgendwas mit dem Tod meiner Eltern. Lauter komisches Zeug.«
»Kein Wunder. Vielleicht…«
»Irgendwie kam es mir wichtig vor, ich habe keine Ahnung, warum.«
»Erzähl mir deinen Traum doch einfach. Vielleicht hilft das.«
»Aber … was?« Er zuckte hilflos mit den Achseln, ein Opfer seiner endlosen zusammenhanglosen Erinnerungen. »Was soll ich dir erzählen?«
»Keine Ahnung. Du könntest mir zum Beispiel erzählen, wie es passiert ist?« Sie lächelte, und ihr Lächeln hatte etwas liebevoll Einfühlsames.
Er verspürte den Wunsch, sie zu umarmen, ignorierte das Bedürfnis jedoch.
»Sag mir … wie du von dem Unfall erfahren hast.«
»Na schön … meinetwegen …« Doch er verstummte sofort wieder. Es fiel ihm ungeheuer schwer; er hatte noch nie wirklich darüber gesprochen. David starrte auf sein zur Hälfte gegessenes Croissant, sein Schälchen mit Xapata-Kirschmarmelade.
»Wie alt warst du, als es passiert ist?«, kam Amy ihm zu Hilfe.
»Fünfzehn.«
»Fünfzehn …?« In Amys Stimme schwang ein Hauch von mitfühlender Ungläubigkeit mit.
»Ja«, antwortete er. »Sie wollten einfach mal allein in Urlaub fahren, mein Vater und meine Mutter. Es war in den Sommerferien.«
»Du warst aber noch ganz schön jung - dass dich deine Eltern da schon allein zu Hause gelassen haben?«
»Ja«, sagte David. »Es war tatsächlich etwas ungewöhnlich. Sie waren wunderbare Eltern, wir haben immer sehr schöne Ferien miteinander verbracht. Und dann, völlig unerwartet, sagte meine Mutter, sie und mein Vater wollten einen Monat allein wegfahren. Ins Ausland.«
»Sie haben dich ganz allein in England gelassen?«
David blickte sich um. Auf der Terrasse waren nur noch zwei andere Hotelgäste, ein Deutscher und seine Frau, die ihre aufgeschnittenen Baguettes stumm mit Butter bestrichen. Die Ferienzeit war schon vorbei. Er versuchte, nicht an Miguel zu denken. Er sah Amy an.
»Sie brachten mich zu Freunden in Norwich. Freunde meiner Mutter, die Andersons. Wir kamen sehr gut miteinander aus, ihre Kinder und ich. Es waren übrigens sie, die Andersons, die mich später bei sich aufnahmen, als … als meine Eltern … als sie den … den Dings, du weißt schon, den Unfall hatten. Als sie gestorben sind.«
»Mhm.«
»Aber genau das ist doch das Komische!«, stieß David unerwartet laut hervor. Er errötete, dann fuhr er ruhiger fort: »Das ist das Eigenartige daran. Ich erinnere mich, dass ich meine Mutter gefragt habe, warum sie ohne mich wegfahren, und sie hat gesagt, weil wir die Wahrheit wissen wollen - und mein Vater hat nur gelacht, aber irgendwie linkisch, verlegen.«
Amy beugte sich zu ihm.
»Sie wollten die Wahrheit wissen? Worüber?«
»Keine Ahnung. Wenn ich mir’s genauer überlege, habe ich mir darüber eigentlich noch nie
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