Cagot
Lieblingsgerichte.«
Dann stellte der Kellner Simons Hauptgericht auf den Tisch. Es war rot und heiß und sah aus wie etwas … gerade Abgetriebenes. »Ah.«
»Ich habe Ihnen Bloodcake bestellt.«
»Wie nett von Ihnen.«
Wieder läutete sein Handy, sehr ärgerlich. Simon schaute auf das Display. Fazackerly, stand dort in blinkender Schrift. Was hatte der Professor denn plötzlich? Simon erinnerte sich an das gelbliche Lächeln des alten Manns und an die arg bemühten Metaphern über den Darwinschen Kampf ums Dasein; wieder entschied er sich, den Anruf nicht entgegenzunehmen. Und schaltete das Handy aus.
Emma Winyard sah mit einem Anflug von Gereiztheit auf die Uhr. »Können wir das vielleicht rasch zu Ende bringen?«
»Ja, bitte. Entschuldigen Sie bitte die ständigen Unterbrechungen.«
»Schon gut. Damit wären wir bei der Verfluchung Kanaans. Um es kurz zu machen: In dieser seltsamen Bibelpassage, Genesis Kapitel neun, Vers zwanzig, irgendwo in diesem Bereich, steht, dass Noah, nachdem ihn sein Sohn Harn nach einem Saufgelage nackt gesehen hatte, dessen Sohn Kanaan mit einem Fluch belegte, dass seine Nachkommen für immer Sklaven sein sollten.«
»Kanaan und Kain sind also nicht ein und derselbe?«
»Genau. Der Sachverhalt ist etwas kompliziert. Kanaan ist der Enkel Noahs und Sohn Harns, der Stammvater der Kanaaniter…«
Simon gab sich redlich Mühe, seinen Blutkuchen zu genießen, aber es gelang ihm nicht. Gegen einen Brechreiz ankämpfend, schob er den Teller von sich und bat Emma Winyard, fortzufahren.
»Und was sagt uns jetzt diese seltsame Geschichte? Zum einen wurde die Verfluchung Kanaans von bestimmten Elementen innerhalb der abrahamitischen Religionen dazu herangezogen, um Rassismus und Zionismus und vor allem die Versklavung schwarzer Amerikaner zu rechtfertigen. Weil man glaubte, sie seien Nachkommen von Harn und Kanaan.«
»Aber wieso? Das verstehe ich schon wieder nicht.« Er zuckte mit den Achseln. »War Kanaan denn Afrikaner?«
Sie lächelte.
»Aber die Sache ist doch ganz einfach. Die Bibel selbst sagt, dass Harns Sohn Kanaan und seine Nachkommen für immer Sklaven sein sollten - und das alles nur, weil Harn seinen betrunkenen Vater Noah nackt gesehen hatte; wobei sich natürlich nicht wenige gefragt haben, weshalb Noah deswegen einen solchen Aufstand gemacht hat. Sie haben diese Unstimmigkeit damit zu erklären versucht, dass im damaligen biblischen Sprachgebrauch mit jemanden nackt sehen< eigentlich Geschlechtsverkehr haben< gemeint ist. Nun konstatieren allerdings manche jüdische und christliche Gelehrte, Gott habe es damit noch keineswegs gut sein lassen; sie führen an, Jehovah habe Kanaan auch noch mit Schwärze geschlagen. Der babylonische Talmud erklärt zum Beispiel kategorisch: >Kanaan war geschlagen mit seiner Haut< - sprich, er wurde schwarz. Ganz ähnlich heißt es im Zohar, dem wichtigsten Buch der Kabbala: >Hams Sohn Kanaan schwärzte das Gesicht der Menschheit.< Und demnach stammten die Afrikaner von Kanaan ab …«
»Und sie ist vorwiegend jüdischer Herkunft, diese Theorie?«
»O nein. Ganz und gar nicht. Die christlichen Kirchenväter schlugen genauso vehement in diese Kerbe. Ein ostchristliches Werk aus dem vierten Jahrhundert, die Syrische Schatzhöhle, bringt die Sklaverei ganz offen mit dunkelhäutigen Menschen in Verbindung.« Emma Winyard schluckte einen großen Bissen Schweinebacke hinunter und führte weiter aus: »Wieso dieses ganze Theater, werden Sie sich jetzt vielleicht fragen. Na ja, wahrscheinlich wurden die Afrikaner zu diesem Zeitpunkt bereits im großen Stil versklavt, und da war es eine willkommene Rechtfertigung für die Unterdrückung der Schwarzen, ihnen den Fluch Kanaans anzuhängen. Sowohl während des Dunklen Zeitalters als auch das ganze Mittelalter hindurch gibt es zahlreiche scholastische Hinweise auf den Zusammenhang zwischen Kanaan, schwarzer Hautfarbe und Sklaverei.«
»Und diese Doktrin machte man sich auch in der … Kolonialzeit zunutze?«
»Natürlich.« Emma Winyard legte Messer und Gabel nebeneinander. »Spanische Konquistadoren, britische Imperialisten, Franzosen und Portugiesen, viele amerikanische Sklavenhalter, sie alle griffen auf diese pseudobiblischen Stellen zurück, um den unmenschlichen Handel mit Afrikanern zu rechtfertigen. Sie beriefen sich darauf, dass Gott entweder schon bei der Erschaffung Adams auch andere, minderwertige Rassen geschaffen oder nach der Verfluchung Kanaans ganz gezielt eine Kaste schwarzer
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