Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
Vom Netzwerk:
nicht kürzer fasste und ein »geschwätziger alter Junggeselle sei, der das Zwicken der Sterblichkeit spüre«; die Nachricht zog sich so lang hin, dass sie von der Mailbox abgebrochen wurde.
    Dann hörte sich Simon die zweite Nachricht an.
    Es war eigentlich keine Nachricht. Jedenfalls war es keine gezielte Mitteilung in dem Sinn. Nur zu offensichtlich handelte es sich um einen Anruf, der zufällig zustande gekommen war. Wahrscheinlich war versehentlich die Wahlwiederholungstaste des Handys gedrückt worden.
    Das zweite Mal hatte der Professor Simon nicht bewusst angerufen. Und der zweite Anruf bestand aus den Lauten eines Menschen, der unbeschreibliche Schmerzen litt. Vielleicht, nein, sicher, grauenhaft - jemand, der starb.
    Es war grotesk. Simon saß auf dem Rücksitz des Taxis, und der Schweiß klebte wie Perlen aus gefrorenem Tau an seiner Stirn, während er die schreckliche Aufnahme anhörte.
    Zu Beginn der Nachricht ertönte ein tiefes, ächzendes Seufzen. Im Hintergrund war ein Heulen zu hören, wie von einer fernen Motorsäge im Wald. Holzfäller bei der Arbeit. Das verzweifelte Stöhnen war echt, eine Mischung aus Angst und Schmerz; es beschleunigte sich zu einem panischen Keuchen. Und dann kam das Röcheln, ein raues, würgendes Röcheln, als spiee jemand heißes Erbrochenes und bekäme keine Luft mehr. Und im Hintergrund war die ganze Zeit dieses schreckliche Heulen.
    Zwischen all dem Röcheln und panischen Hecheln gab es nur ein einziges verständliches Wort in dieser grauenhaften Nachricht, und das war: »Halt!« Dieses eine Wort genügte, um Fazackerly zu identifizieren.
    »Halt!« Simon klopfte hektisch gegen die gläserne Trennscheibe des Taxis. Sie waren nur zweihundert Meter vom GenoMap-Institut entfernt. Der Taxifahrer hielt abrupt an. Und drehte sich verwundert um.
    Simon warf dem Mann einen Zwanzigpfundschein hin, sprang aus dem Wagen und rannte an den eleganten Reihenhäusern des Gordon Square entlang. Er fand die alte ramponierte Tür; sie stand halb offen. Drei Stufen auf einmal nehmend, stürmte er in den ersten Stock hinauf und dann noch ein Stockwerk höher. Keuchend und völlig aufgelöst.
    Und dann war er im Labor und in den GenoMap-Büros. Die Geräte waren kalt und unbenutzt. Der HydroShear und die Zentrifuge waren stumm. Alles sah normal aus - jedenfalls nicht anders als zuvor. Die staubigen Apparaturen. Die leer geräumten Schreibtische. Das Institut war verlassen. Die Türen standen offen. Auf einem Tisch hatte ein Laborant einen Troll liegen gelassen. Einen grinsenden Troll.
    Wo war Fazackerly? War vielleicht gar nichts passiert? Hatte Simon die schreckliche zweite Nachricht vielleicht völlig falsch gedeutet?
    Doch dann hörte er das eigenartige Heulen, und die Panik kehrte zurück. Es war das gleiche Heulen wie in der telefonischen Nachricht. Wie eine Motorsäge, die man in einem verschneiten Wald durch die kahlen Bäume hindurch hörte. Jemand, der irgendwo in der schwarz-weißen Tiefe des Waldes Holz schnitt.
    Da. Es kam aus der Ecke des Labors, von einem der Geräte, das Fazackerly Simon bei ihrem obligatorischen Rundgang gezeigt hatte. Die große Mikrowelle, die für Sterilisation, Antigendemaskierung, Histologie und …
    Er stürzte auf das schrankgroße Gerät zu, das munter vor sich hin surrte. Es war eifrig am Kochen, wie eine zufrieden summende Hausfrau. Und es war tatsächlich etwas im Rohr.
    Natürlich wusste Simon, was es war, und natürlich wollte er es nicht wissen. Er wandte das Gesicht ab, zwang sich aber gleich wieder herum und kämpfte gegen den Drang an, in panischem Entsetzen zu fliehen.
    Gegen die getönte Glasscheibe des riesigen Mikrowellenherds war ein Gesicht gedrückt. Ein gekochtes und verschwitztes altes Gesicht, dem Schleim aus der weißen, faltigen Nase troff. Fazackerly war im Rohr. Gebraten, aber nicht gebräunt. Seine Haut war ausgebleicht und rosig, ein poschiertes Auge hing aus seiner Höhle.
    Das Summen verstummte. Die Mikrowelle machte leise Ping.

21
     
    Die Wunde in seiner Handfläche heilte, aber der Schmerz blieb. Und die Angst ließ ihn nicht aus ihren Klauen.
    David stand im Garten des Cagot-Hauses in der Sonne und wickelte eine Binde um seine blutverkrustete Hand. Der Garten war verwildert, mit umgestürzten Bäumen und efeuüberwucherten Wegen, und aus den bröckelnden Mauern wuchsen Blumen. Trotz seiner Größe war er nicht einsehbar, und im Gegensatz zu den feuchten und dunklen Fluren des alten Cagot-Hauses gab es dort Luft und

Weitere Kostenlose Bücher