Cagot

Sklaven in die Welt gesetzt hatte. Die Schlussfolgerung ist in beiden Fällen die gleiche: Sklaverei ist in Ordnung.«
    Sie betupfte die Lippen mit einer Serviette und fuhr fort: »Und diese Theorie hat nach wie vor ein gewisses Gewicht. Die Mormonen verwarfen diese Lehre erst 1977-«
    Es wurde Zeit, den Punkt anzuschneiden, der Simon eigentlich hierhergeführt hatte.
    »Emma, haben Sie über das alles vor ein paar Monaten mit einem gewissen Angus Nairn gesprochen?«
    Professor Winyard setzte sich kerzengerade auf.
    »Ja, das habe ich. Aber … woher wissen Sie das?« Ihr unerschütterliches Lächeln verflog. »Ich dachte, Sie wären bloß ein Journalist, der über rassistische Theorien recherchiert.«
    »Das ist durchaus richtig. Aber … es spielen noch andere Faktoren hinein. Jedenfalls muss ich unbedingt herausfinden, was Nairn wollte.«
    Sie runzelte die Stirn. »Na schön … ja, Angus und ich haben uns sehr gut verstanden. Er ist ein ziemlich exzentrischer … aber auch sehr charmanter junger Mann. Hochintelligent. Ein brillanter Wissenschaftler. Und schottischer Presbyterianer.«
    »Das weiß ich bereits.«
    »Ich habe schon ewig nichts mehr von ihm gehört. Allerdings hatte ich in letzter Zeit beruflich einiges am Hals …«
    »Worüber haben Sie beide, äh, gesprochen?«
    »Ach, über alles Mögliche. Er interessierte sich zum Teil für höchst eigenartige Dinge, zum Beispiel dafür, in welchem Zusammenhang der Kanaansfluch mit der Inquisition, den Basken und den Cagots stehen könnte.«
    »Mit den Cagots?«
    »Ja, das ist eine französische Volksgruppe von Parias, Ausgestoßenen.«
    »Nie davon gehört.«
    »Die meisten Leute haben noch nie von ihnen gehört. Sie gehörten mit zu den prominentesten Opfern dieser radikalen Fluch-Theologie. Einige katholische Geistliche glaubten, sie stammten von den Söhnen Kanaans ab - dieser ganze Irrsinn -, und verfolgten sie deshalb gnadenlos. Im französischen Katholizismus gibt es bis zum heutigen Tag eine extrem rassistische, teils auch antisemitische Strömung.«
    »Wie zum Beispiel?«
    »Nehmen Sie nur den französischen Erzbischof Lefebvre. Er wurde wegen seiner extrem traditionalistischen Ansichten exkommuniziert. Unter anderem, weil er sich den Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils widersetzte. Unter seinen Anhängern finden sich nicht wenige, die den Holocaust schlichtweg leugnen. Diese katholische Gruppierung hatte enge Verbindungen zum nazifreundlichen Vichy-Regime. Einige abtrünnige französische Geistliche arbeiteten sogar tatsächlich für die Nazis.«
    »Und in welcher Form?«
    »Als Kaplane in den Konzentrationslagern zum Beispiel.« Emma Winyard sah wieder auf die Uhr. »Tut mir leid, aber ich muss wirklich gleich los …«
    Simon nickte. »Nur noch ein paar Fragen?«
    »Aber bitte schnell.«
    »Worüber haben Sie mit Nairn sonst noch gesprochen?«
    »Oh … über viele Dinge. Wir waren sogar ein paarmal zusammen essen.« Über ihre Züge legte sich ein wehmütiger Ausdruck. »Ganz besonders interessierte er sich für die Ergebnisse der ärztlichen Untersuchungen, die an den Cagots vorgenommen worden waren.«
    »Was für Untersuchungen?«
    »1610, auf dem Höhepunkt der Cagots-Verfolgungen, beauftragte der König von Navarra seine Hofärzte damit, eine größere Anzahl von Cagots zu untersuchen. Um herauszufinden, ob die Parias tatsächlich …« Emma Winyard zeichnete mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft»… >anders< waren. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen gelangten nie an die Öffentlichkeit. Aber wir wissen, dass wenig später die hohe Geistlichkeit der Diskriminierung der Cagots und ihrer Verfolgung entgegenzuwirken begann, obwohl es Jahrhunderte dauerte, bis dieser Aberglaube auch unter den einfachen Geistlichen und in der Landbevölkerung ausgeräumt werden konnte. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Basken.«
    »Inwiefern?«
    »Die Basken wurden ebenfalls verfolgt. Als Hexen. Erstaunlicherweise wurde den baskischen Hexenverbrennungen von der spanischen Inquisition ein Ende gesetzt. Ein Inquisitor namens Salazar entmachtete die Hexenjäger und stellte sie vor Gericht. Er ließ den französischen Hexenjäger De Lancre, der geradezu besessen vom Kanaansfluch war, aus seinem Richteramt entfernen.« Emma Winyard lächelte still in sich hinein. »Es widerspricht etwas dem Image der katholischen Kirche und der Inquisition, die ja gemeinhin als gnadenlose Verfolger von Häretikern und Minderheiten gelten - Tatsache ist