Cagot
Licht. Ein guter Ort, um zu reden. Ein guter Ort, um über die Nazi-Verwicklungen seines geliebten Großvaters nachzudenken.
Das schmerzhafte Gespräch mit Madame Bentayou ging David immer noch nach. Wie er es auch drehte und wendete, er gelangte jedes Mal zu demselben unausweichlichen Schluss. Sie mussten alle im Lager von Gurs gewesen sein: Jose Garovillo, sein Großvater und Eloises Großmutter.
Sämtliche Fakten deuteten darauf hin, dass sie dort interniert gewesen waren; zudem legten der verheimlichte Reichtum seines Großvaters, dessen Schuldgefühle und dessen Heimlichtuerei den Schluss nahe, dass er aus diesem Umstand in irgendeiner Form Profit geschlagen und möglicherweise sogar mit den Nazis kollaboriert hatte.
Diese Folgerung war ebenso schrecklich wie unumgänglich. Hatte sich sein Großvater der Komplizenschaft mit den Nazis schuldig gemacht? Gab es denn überhaupt eine andere Erklärung, wie er an das viele Geld gekommen sein könnte? Und warum hatte er sich nicht einmal unmittelbar vor seinem Tod darüber äußern wollen? Warum die Geheimniskrämerei?
David setzte sich auf eine Steinbank, stand aber sofort wieder auf. Die Feuchtigkeit des Mooses drang unangenehm kalt durch den Stoff seiner Jeans. An diesem heruntergekommenen Ort war alles so scheußlich klamm. Die Mauern waren getränkt von mittelalterlicher Feuchtigkeit. Der Garten revoltierte mit reizlosem Leben: Gleich am ersten Tag hatte sich eine träge Blindschleiche erdreistet, unter Davids Augen in die Küche zu kriechen. Es war widerlich. Das verwahrloste Cagot-Haus. David verabscheute sie dafür: die Cagots. Er wollte ihn einfach nur wegspülen, den ganzen Dreck der unzähligen Cagots, die hier Unterschlupf gesucht, geschlafen, gefickt und ihre blöden Cagot-Mahlzeiten gekocht hatten …
David regte sich wieder ab. Die Cagots wurden systematisch ausgerottet. Sie verdienten sein Mitleid. Wie leicht es war, zu hassen.
Ein Turmfalke schwebte durch den sich rasch bewölkenden Himmel. Ein Geräusch ließ David herumfahren: Amy stand in der Tür. Sie sah ihn stirnrunzelnd an; er lächelte. Sie beide waren die letzten Nächte gezwungen gewesen, in demselben finsteren, modrigen Zimmer zu schlafen - gezwungen, weil der Zustand aller anderen verfügbaren Zimmer noch feuchter, heruntergekommener und abstoßender war. Sie hatten sich in nebeneinanderstehenden Betten schlafen gelegt. Nichts Körperliches war zwischen ihnen passiert, und doch … etwas war zwischen ihnen passiert.
Allein im flackernden Kerzenlicht, hatten sie sich bis tief in die Nacht hinein unterhalten. Die Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, wie Kinder, die sich unter der Bettdecke versteckten.
Und hier war sie, seine enge Freundin. Wenigstens ein Gutes hatte dieser ganze Horror mit sich gebracht. Doch dann bemerkte er ihre besorgte Miene.
»Was ist? Irgendwas mit Jose?«
»Nein. Er sagt immer noch kein Wort. Nein …« Die Falten in ihrer Stirn wurden noch tiefer. »Es ist wegen Eloise.«
»Wieso? Was ist mit ihr?«
»Sie ist verschwunden. Jedenfalls sieht es so aus. Ich kann sie nirgendwo finden.«
Die ersten Regentropfen klatschten kalt in Davids Nacken.
Er lief sofort ins Haus, und sie begannen zu suchen. Jose und Fermina, stumm und stumpf, saßen im feuchten Wohnzimmer wie Bauern in einem mittelalterlichen flämischen Gemälde. Wie zwei zerlumpte Überlebende eines strengen Winters, die sich gegen die anhaltende Kälte aneinanderdrückten.
»Jose. Wir können Eloise nirgendwo finden. Hast du sie gesehen?«
Jose murmelte ein Nein. Seit sie hierhergekommen waren, schien sein Gesicht zu einem unveränderlichen Ausdruck erstarrt: vorwurfsvoll und voller Selbstmitleid - und voller Angst.
Amy seufzte genervt.
»Dann lass uns mal oben nachsehen.«
Aber auch dort war niemand. Eloise war tatsächlich weg. Sie suchten überall im Haus. Nichts. Sie durchkämmten den Garten vor und hinter dem Haus. Sie suchten sogar ein Stück des Walds ab, der sich die steilen Felswände der Schlucht hinaufzog.
Nichts.
Allmählich nistete sich ein beängstigender Gedanke in Davids Kopf ein. War Eloise entführt worden? Oder war sie nur nach Campan gegangen, in den bewohnten Teil des Orts? Sie hatte mehrere Male erwähnt, dass sie dringend ein paar Mails schicken und in der Kirche beichten wollte. Dazu hätte sie in beiden Fällen die Brücke überqueren müssen. War sie ein dummes Risiko eingegangen? Hatte sie sich ins Dorf gewagt?
David und Amy standen im schwachen
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