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Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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»Ja …«
    Diese Antwort schien Jose aus der Fassung zu bringen; er schloss die Augen und schauderte. Dann wandte er den Blick von David ab und starrte an ihm vorbei auf das zerbrochene Fenster. Erschrocken wirbelte David herum - war das eine menschliche Gestalt gewesen, im Wald hinter dem Haus?
    Der dichte Regen war trügerisch: Vielleicht war es auch nur ein Pottok, eins der kleinen Wildpferde, die wie Gespenster durch die Gegend streiften. Trotzdem wurde David das Gefühl nicht los, dass es … Miguel war, der sie beobachtete, mit einem Komplizen tuschelte und seine Pistole durchlud, während ihm der Regen von der Mütze tropfte.
    Nein, das war ausgeschlossen. Niemand wusste, dass sie hier Unterschlupf gesucht hatten. Es wusste nicht einmal jemand, dass sie in Campan waren, geschweige denn, dass sie sich in der Cagoterie auf der anderen Seite des Flusses versteckt hatten. Und das Haus war wirklich sehr schwer zu finden. Man entdeckte es erst dann hinter der schützenden Wand aus Bäumen, wenn man sich bereits den Kopf an dem uralten Türsturz aus Granit stieß, in den ein primitiver Gänsefuß gemeißelt war.
    Doch das warf eine neue Frage auf. Woher hatte Jose von der Existenz des Hauses gewusst? Es war ein uralter Zufluchtsort der Cagots, nicht der Basken.
    Und dann kam David ein bestürzender neuer Gedanke, der sich wie eine eisige Klaue um seine Schläfen legte. Wenn Jose das Haus kannte, warum dann nicht auch Miguel?
    David beugte sich vor. Er musste Jose stärker unter Druck setzen. Ihm vielleicht sogar drohen.
    »Jose, kennt auch Miguel dieses Haus?«
    »Nein. Ich habe ihm nie davon erzählt, nicht von dem Haus. Wenn er davon wüsste, wäre ich nicht hier! Eines Tages wurde mir klar, dass ich früher oder später vor ihm fliehen müsste, dass ich ein Versteck brauchte, in das ich mich zurückziehen kann, wenn er oder die Polizei nach mir suchen würden.«
    »Aber woher wussten Sie von diesem alten Unterschlupf der Cagots?«
    Hastig schob Jose einen Bissen Aale in seinen weißlippigen Mund.
    David packte Jose am Arm. Sehr fest.
    »Erzählen Sie schon. Was ist in Gurs passiert? Warum hat Miguel meine Eltern umgebracht?«
    Ein gequältes Stirnrunzeln. David drückte fester zu. Jose verzog das Gesicht und rückte schließlich mit einer Antwort heraus.
    »Weil sie kurz davorstanden, etwas herauszufinden.«
    »Über das, was damals in Gurs passiert ist? Ihren Verrat?«
    »Ja.«
    Mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid merkte David, dass Jose weinte. Über das Gesicht des alten Manns liefen Tränen, als er fortfuhr: »Ja, ich habe in Gurs etwas getan. Im Lager ist etwas passiert. Miguel wollte nicht, dass es die Leute erführen …«
    »Jose, was haben Sie getan?«
    Der alte Mann murmelte etwas; David verstand ihn nicht und beugte sich zu ihm vor. Jose wiederholte: »Sie haben uns gefoltert. Vergessen Sie das nicht, Sie haben uns gefoltert.«
    »Wer?«
    »Eugen Fischer.« David überlegte.
    »Auch Eloises Großmutter hat diesen Fischer erwähnt. Wer war das?«
    »Ein Nazi-Arzt.«
    »Und was hat er Ihnen angetan?« David spürte das Prickeln bittersüßer Erregung; er spürte, dass er sich dem tragischen Kern des Rätsels näherte. Allerdings war er keineswegs mehr sicher, ob er es wirklich lösen wollte; zugleich wollte er mehr denn je endlich Klarheit haben.
    »Was haben die mit Ihnen gemacht? Jose? Wie wurden Sie gefoltert?«
    »Sie haben uns untersucht. Viele Blutuntersuchungen. Und die Haare und das … das Blut. Vor allem das Blut haben sie untersucht.«
    »Was noch?«
    »Es gab viele andere Ärzte. Und dann die katholischen Geistlichen.« Jose schauderte. Er zitterte wie das vom kalten Gebirgsregen gepeitschte Laub der Bäume im Garten.
    »Was haben die Priester gemacht?«
    »Sie haben uns verbrannt. Sie haben uns umgebracht.«
    »Warum haben sie das getan?«
    Jose nahm einen weiteren Bissen von den fettigen Jungaalen, die längst kalt geworden waren. Und dann sagte er: »Sie meinten, wir wären keine Menschen; sie sagten, wir müssten ausgerottet werden wie Schlangen. Wir hätten den Tod verdient, wie Ungläubige - oder Hexen. Sobald sie mit den Blutuntersuchungen fertig waren … übergab Eugen Fischer einige von uns den Geistlichen und den Kriminellen …« Jose machte eine niedergeschlagene Handbewegung. »Und sie haben uns verbrannt. Viele von uns. In dem Sumpf am Rand des Lagers.«
    »Aber warum wurden Sie gefoltert?«, fragte David. »War es wie bei den Hexenprozessen? In Zugarramurdi? Als die

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