Cagot
David an. Seine Augen waren grau und von Trauer ausgehöhlt. Dann drehte sich der alte Mann wieder um und gab ein paar hauchdünne Scheiben Knoblauch und die Hälfte einer roten Chilischote in die Pfanne. Er drehte das Gas auf. Knoblaucharoma breitete sich aus.
»Ich wollte sie einfach noch mal essen, Davido, Angulas Bilbaina. Einmal noch. Nur noch ein einziges Mal.« Jose zitterte sichtlich. »Die besten Jungaale kommen aus der Deva; sie werden bei Neumond gefangen, wenn das Wasser von Tabak verfärbt ist…« Mit einer gekonnten, aber matten Handbewegung nahm er ein paar Aale und warf sie in die Pfanne. Er ließ sie eine Weile brutzeln und rührte mit einem Kochlöffel um.
»Das ist die entscheidende Phase. Nimmt man sie zu früh vom Feuer, schmecken sie nicht; wartet man zu lange, sind sie zerkocht. So …«
Er nahm die Pfanne vom Herd und goss die gebratenen Aale in ein Sich. Ein eigenartiger Geruch erfüllte die Küche - halb Fisch, halb Pilz. Zum Schluss verteilte Jose die Aale auf zwei Teller.
»Wollen Sie probieren?« Er nahm ein paar Kräuter aus einer Schale und streute sie über die Aale. »Fermina hat keinen Appetit. Leisten Sie mir Gesellschaft?«
»Klar … warum nicht?«
»Aber man muss sie mit einem Holzlöffel essen; Metall verdirbt den Geschmack.«
So viel stand fest: Der alte Mann wollte essen. Die zwei Männer trugen ihre Teller in das düstere Wohnzimmer. Von dem mickrigen Feuer im Kamin stieg beißender Rauch auf.
Jose zuckte zusammen, als er sich die glitschigen kleinen Aale in den Mund schob.
»Aiii… tiefgefroren. Das merkt man einfach. Aber immer noch besser als die falschen. Wussten Sie, dass sie jetzt falsche Angulas machen? Si. Es stimmt wirklich - sie fälschen sie, weil die echten so teuer sind. Fünfzig Euro das Pfund.«
David konnte seinen Ärger nicht länger zurückhalten. Der Zeitpunkt war gekommen.
»Jose … wir müssen reden. Und zwar sofort.«
»Sie machen sie aus … Kabeljauinnereien. Aus Makrelen. Aus Fleisch. Aus was weiß ich noch allem.« Jose seufzte. »Die echten Angulas sterben aus, wie die Dichter, die baskischen Lieder, wie alles, was gut ist…«
»Jose …«
»Sie malen sogar kleine Augen auf die falschen Aale! Wussten Sie das, Davido? Falsche kleine Augen auf den Txitxardin!«
»Schluss jetzt!« Jose verstummte.
David stellte seinen Teller auf die staubigen Bodendielen. »Hören Sie zu. Eloises Großmutter hat mir … etwas erzählt. Es ist ziemlich peinlich, Jose. Aber ich muss es wissen.«
Jose schüttelte den Kopf und betrachtete sein Essen; er schien Davids Fragen zu ignorieren.
»Jose! Sie hat gesagt, sie kennt Sie aus Gurs.«
Der alte Baske schaute auf seine silbrigen Angulas.
David ließ nicht locker. »Sie hat gesagt, Sie waren im Lager als der Verräter bekannt. Stimmt das? Ist das der Grund, weshalb Sie in den letzten Tagen so still waren? Warum diese Geheimnistuerei? Weswegen schämen Sie sich?«
Jose saß mit dem Teller in seinem Schoß reglos da. Schließlich hob er den Blick. Das blanke Entsetzen in seinen wässrigen Augen ließ David zusammenzucken: Jose hatte etwas Schreckliches erlebt. Oder etwas Schreckliches getan.
»Jose?«
»Es ist… es ist, weil…« Seine Lippen waren weiß, sein Gesicht so grau wie der Morgennebel über dem Fluss. »Weil es wahr ist. In Gurs ist etwas passiert.«
»Waren Sie mit meinem Großvater interniert?«
Jose schaukelte auf seinem feuchten Holzstuhl.
David fragte noch einmal: »Waren Sie mit meinem Großvater interniert?«
»Ja.«
»Aber, warum haben Sie uns das nicht gleich gesagt, Jose?«
»Weil … wegen aller möglichen Dinge. Die passiert sind. Ich kann niemandem trauen. Wenn Sie die Geheimnisse kennen, die ich kenne, die Geheimnisse, von denen ich in Gurs erfahren habe, dann werden auch Sie verstehen, dass Sie sehr vorsichtig sein müssen. Für immer.« Er sah David traurig an. »Und doch … als ich damals Ihr Gesicht sah, als Sie mich in meinem Haus besucht haben … ich musste sofort an meinen alten Freund Martinez denken, und ich fand, dass Sie die Wahrheit erfahren sollten - jedenfalls in einem vertretbaren Rahmen.« Der alte Mann seufzte. »Ich fand, dass es Ihnen zusteht, zu erfahren, wer Ihr Großvater war. Ein Baske. Aber ich wollte Sie auch nicht in Gefahr bringen, ich wollte Sie schützen.«
»Vor Miguel?«
»Vor Miguel. Vor vielen anderen wie ihm. Aber vor allem vor Miguel.«
»Hat er meine Eltern umgebracht?«
Das Zimmer war erfüllt vom Rauschen des Wolkenbruchs.
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