Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cagot

Cagot

Titel: Cagot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
Vom Netzwerk:
selbst umzubringen. Bevor er mich umbringt. Bevor er alle anderen umbringt. Denn eines Tages wird er mich ganz sicher umbringen.«
    »Warum?«
    »Wegen seiner Veranlagung. Weil er ist, wie er ist. Von Gott so geschaffen. Mein Sohn ist… von Grund auf böse. Und doch liebe ich ihn. Er ist mein Sohn. Sie wissen ja, wie alt ich schon bin; ich dachte, ich würde nie mehr Vater werden. Aber dann lernte ich die junge Fermina kennen … wir bekamen ein Baby. Einen Sohn. Wir waren überglücklich. Ena semea …«
    Zum ersten Mal seit Tagen leuchteten die Augen des alten Mannes auf, doch sie verdüsterten sich sofort wieder.
    »Als er größer wurde … merkten wir irgendwann, dass er mit der wahren Schande der Cagots geschlagen war. Ja, mit der wahren Schande. Aber er war groß und stark und intelligent. Und er hatte einflussreiche Freunde, Helfer. Mächtige Leute, deren Motive Sie nie verstehen werden. Die Bruderschaft.«
    »Was für eine Bruderschaft?«
    »Nein, darüber darf ich Ihnen auf keinen Fall etwas erzählen. Jetzt muss Schluss sein. Bitte.« Wieder traten dem alten Mann Tränen in die Augen. »Erlauben Sie mir, wenigstens dieses letzte schreckliche Geheimnis für mich zu behalten.« Jose wischte sich das Aalfett von den Lippen. »Ich habe Ihnen sowieso schon viel zu viel gesagt. Zu viel, zu spät. Wenn ich Ihnen mehr erzähle, wird man Sie auf keinen Fall am Leben lassen. Denn das Geheimnis, dessen Aufdeckung Miguel mit allen Mitteln zu verhindern versucht, betrifft nicht nur mich. Es betrifft mich und ihn und die Cagots. Es reicht wesentlich tiefer, Davido, und es ist nicht nur schrecklich, sondern auch gefährlich, für uns alle, für die ganze Menschheit. Wenn Sie das Geheimnis kennen, wird man Sie töten; wenn Miguel es nicht tut, dann jemand anders. Einer seiner Leute. Die Bruderschaft. Irgendjemand.« Der alte Mann sah David finster an. »Verstehen Sie? Ich rette Ihnen das Leben, wenn ich darüber schweige!«
    Langsam verstand David überhaupt nichts mehr. Es wurde immer verrückter. Er saß im Zwielicht des klammen Zimmers und versuchte, aus all dem klug zu werden. Der Regen nagelte nach wie vor erbarmungslos auf die Schieferplatten des Dachs. Durch das Fenster sah man, wie aus dem Wald Nebelschwaden aufstiegen; die Bäche rauschten die steilen Hänge der Schlucht herab und ergossen sich in den reißenden Adour.
    David war noch nicht bereit, aufzugeben, und setzte zu einem erneuten Versuch an. Aber Jose stellte sich stur. Der alte Mann wollte nicht mehr.
    Stille.
    David war frustriert. Er hatte noch so viele Fragen: zum Tod seiner Eltern, woher das Geld kam, was das alles mit dem Holocaust zu tun hatte, welches Geheimnis so furchtbar war, dass es unweigerlich den Tod nach sich zog.
    Aber er bekam keine Antworten mehr.
    Die Tür flog auf. Es war Fermina. Sie war kaum zu bremsen in ihrer Wut, und ihre Armreifen klimperten, als sie Jose anbrüllte, mit Worten geradezu auf ihn einprügelte.
    Ihre vernichtende Strafpredigt erfolgte auf Baskisch, und doch verstand David, worum es ging.
    »Was hast du ihm erzählt, du alter Narr?«, wollte sie von ihm wissen. »Welche Geheimnisse hast du verraten?«
    Und dann stürmte Joses deutlich jüngere Frau vor Davids Augen auf ihren alten Ehemann zu und schlug ihm verächtlich ins Gesicht.
    Jose duckte sich unter dem Schlag, ohne sich zu wehren.
    David stand da wie gelähmt und musste mit ansehen, wie Fermina ihren Mann ein zweites Mal schlug, bevor sie ihn an seiner gebrechlichen Hand packte, von seinem Stuhl hochzog und wie ein unartiges Kind aus dem Zimmer zerrte. Die Tür fiel zu. Die Stiege knarrte.
    Kurz darauf wurde oben eine weitere Tür zugeworfen. Das ganze Haus erzitterte; die von Tau benetzten Spinnweben in den Ecken bebten, der Staub wirbelte verdrossen von Zimmer zu Zimmer.

23
     
    Das Licht war ätzend. Simon kämpfte sich aus dem Bett und ging ans Fenster. Von relativ schwachem Vormittagsverkehr begrüßt, schaute er auf seine Armbanduhr. Fast elf Uhr; offensichtlich hatte er nach einer Nacht zermürbender Schlaflosigkeit doch noch Schlaf gefunden. Die Stille im Erdgeschoss verriet ihm, dass Suzie und sein Sohn das Haus bereits verlassen haben mussten. Anscheinend hatte er so tief geschlafen, dass er nicht mitbekommen hatte, wie seine Frau Frühstück gemacht und Conor angezogen und in den Kindergarten gebracht hatte und dann selbst zum Dienst im Krankenhaus gefahren war.
    Er spürte, wie ihm Angst und Schuldgefühle bitter aufstießen. Die gleichen

Weitere Kostenlose Bücher