Caius, der Lausbub aus dem alten Rom.pdf
ging.
Claudia kam jetzt heraus und rannte schnurstracks über den Platz auf das Gebüsch zu, hinter dem die Jungen versteckt waren. Sie rief schon von weitem erregt: „Pst! Lauft nicht fort! Ich muß euch was sagen!" Sie schlüpfte geschickt durch die Zweige und stand gleich darauf atemlos vor den Jungen. „Ich hab' euch vorhin durchs Fenster gesehen. Es ist etwas Schreckliches passiert. "Wo ist Rufus?"
„Rufus ist zu Hause", sagte Mucius.
„Oh, das ist gut", sagte Claudia erfreut. „Er soll sich nicht sehen lassen. Mein Vater weiß alles." Sie sah erhitzt aus, und ihre dunkelblauen Augen leuchteten vor Aufregung. Sie war sonst immer sehr elegant gekleidet und sorgfältig frisiert, aber diesmal hatte sie bloß eine einfache Tunika umgeworfen, und ihre langen braunen Locken waren achtlos mit einem schmalen Bändchen hochgebunden. Ihre Füße steckten in viel zu großen Haussandalen, die wahrscheinlich ihrer Mutter gehörten.
„Was weiß dein Vater?" fragte Mucius streng und kniff die Augen zusammen.
„Ich will euch alles erzählen", sagte sie hastig, „aber ich habe Angst, daß man mich hier sehen kann. Ich bin meinen Gouvernanten ausgerückt."
„Komm!" sagte Mucius. Er nahm sie an der Hand und zog sie mit sich fort tiefer in den Pinienwald hinein. Als er eine Graslichtung erreicht hatte, machte er halt. „Setz dich!" sagte er höflich und wies auf einen niedrigen Felsblock.
Claudia setzte sich, und die Jungen scharten sich um sie.
„Weiß dein Vater, daß Rufus das an die Tempelwand geschrieben hat?" fragte Julius. Claudia nickte eifrig. „Erzähl! Erzähl!" riefen die Jungen. Claudia war geschmeichelt, daß sie der Mittelpunkt des Inter-
esses war, und ordnete rasch ihre Locken ein bißchen. „Unsere Sklaven entdeckten die Schrift, als sie heute früh vom Markt zurückkamen", begann sie zu berichten. „Sie erzählten es dem Sekretär, und der Sekretär ist sofort zu meinem Vater gelaufen. Mein Vater hat grade gefrühstückt. Er hat seinen "Wein hingestellt und sein Brot mit Käse liegenlassen und ist in die große Halle gegangen und hat zum Fenster hinausgeschaut. Er wurde schrecklich wütend. ,Das ist eine unerhörte Tempelschändung', hat er gerufen. ,Wer war das?' Der Sekretär wußte es nicht, da wurde mein Vater noch wütender und schrie: ,Ich werde dich in Ketten legen lassen!' Der Sekretär warf sich meinem Vater zu Füßen und sagte,,Gnade, Herr! Vielleicht weiß dein Sohn Caius, wer es war. Es ist bestimmt einer seiner Schulfreunde gewesen.' Oh, war ich wütend, daß er euch verdächtigt hat!"
„Der Sekretär ist ein Idiot!" rief Antonius.
„Ja", sagte Claudia, „ich kann ihn auch nicht leiden. Mein Vater hat sofort den alten Herodus kommen lassen, Caius' Erzieher, und hat ihm befohlen, Caius aus der Schule zu holen. Der alte Herodus wurde blaß und sagte:,Caius ist heute nicht in die Schule gegangen, o Herr!' ,'Warum nicht?' hat mein Vater geschrien. Da fing der alte Herodus an zu zittern, warf sich meinem Vater vor die Füße und flehte: ,0 Herr, bestrafe mich nicht! Ich habe Caius heute früh geweckt, aber er hatte sich in sein Zimmer eingeschlossen und wollte nicht aufmachen. Ich habe mehrmals angeklopft, da rief er: ,Heute ist keine Schule, du Esel! Unser Lehrer ist verreist!'"
„So eine Lüge", sagte Flavius. „Und was hat dein Vater getan?" fragte Julius. „Er ist selber gegangen und hat Caius geholt", fuhr Claudia fort, „und hat ihn in die große Halle gebracht. Caius war noch im Nachthemd und sah sehr ängstlich aus. Mein Vater ist sehr streng mit ihm. Er hat ihn zum Fenster geführt und auf den Tempel gezeigt und hat gefragt: ,"Wer war das?' Caius hat zuerst ein dummes Gesicht gemacht, aber plötzlich wurde er wütend und schrie: ,Das ist Rufus gewesen, der Sohn des Praetonius!'" „Pfui! Pfui!" riefen die Jungen empört. „So ein Verräter", sagte Mucius mit finsterer Miene. „Wir müssen ihn bestrafen", sagte Julius. „Laßt mich nachdenken", sagte Mucius. Er verschränkte die Arme und dachte nach. Dann verkündete er: „Caius wird in den Bann getan. Er darf nicht mehr mitspielen, und niemand darf mehr ein Wort mit ihm sprechen."
„Für mich ist er gestorben", beteuerte Antonius.
„Ich spreche auch nicht mehr mit ihm", sagte Claudia errötend. Sie war ehrlich entrüstet über ihren Bruder. „Er hat auch bestimmt gelogen. Rufus ist so ein netter Junge. Er wird doch nicht einen heiligen Tempel mit roter Farbe beschmieren. Er hat mir zum Geburtstag eine
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