Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
liebst du ihn?“
„Das weiß ich noch nicht. Ich lernte ihn ja eben erst kennen.“ Abigails geheime Wünsche drohten überzuschäumen wie Champagner aus einer Flasche. Ja, sie liebte den Leutnant. Ihr Herz sagte ihr das, wenn ihr wesentlich verlässlicherer Verstand ihr auch klarmachte, dass Boyd Butler für sie nicht in Reichweite lag. Navel- orangen aus Jaffa liebte sie auch, was nicht hieß, dass sie diese jederzeit haben konnte; sie waren schlicht nicht verfügbar.
Gestern Abend hatte der Leutnant ihr seine Sehnsucht nach Romanzen und Poesie gestanden. Doch was er wirklich begehrte, war Helena, und wer wollte es ihm verübeln?
„Das muss ich doch auch noch nicht heute entscheiden, oder?“ fragte Helena mit strahlendem Lächeln.
„Selbstverständlich nicht.“
„Ich hasse Entscheidungen“, meinte ihre Schwester und klaubte mit der Fingerspitze die Krümel auf ihrem Teller zusammen. „Du auch?“
Abigail musste lachen. „Nein. Ich entscheide gern, was als Nächstes passieren soll, und dann lasse ich es geschehen.“
„Das finde ich langweilig“, entschied Helena. „Wenn ich nie etwas plane, erlebe ich jeden Tag Überraschungen.“
Abigail schüttelte den Kopf und trank ihren Tee aus. Sie wünschte, sie hätte sich für heute mehr vorgenommen, denn das Eichen sollte erst am späten Nachmittag stattfinden, und bis dahin hatte sie nichts zu tun, obwohl die Astronomie ihre wahre Berufung war. Sie arbeitete drei Tage in der Woche für Professor Drabble an der Universität, errechnete Sternkarten und studierte Astronomie.
Mit ihrer Arbeit war sie glücklich und zog den Hörsaal einem Ballsaal vor. Für sie bedeutete eine Galagesellschaft immer ein tödliches Risiko - fliegende Blumensträuße, schnelle Tänze, zerbrechliche Gegenstände, die einer tollpatschigen Frau in den Weg gestellt wurden.
Im Gegensatz dazu schien niemand an der Universität zu wissen oder sich darum zu kümmern, dass sie anders als andere war. Im Labor oder im Observatorium war sie für ihren scharfen Verstand und ihr ebenso scharfes Auge bekannt; hier kritisierte niemand ihr ungepflegtes Äußeres und ihre so genannte Streitsucht. Sie träumte von Bergspitzen unter kristallklarem Himmel, von Inseln mitten im weiten Ozean - von Orten, die weit entfernt waren von der Hauptstadt, die einem überfüllten Goldfischglas glich, und der Versnobtheit von Georgetown.
Während sie und Helena sich auf ihre getrennten Unternehmungen vorbereiteten, kam Dolly mit einer gedruckten Karte auf einem Silbertablett herein. „Ein Gentleman möchte Ihnen seine Aufwartung machen, Miss.“ Die Haushälterin stellte das Tablett vor Helena ab.
„Lieber Himmel!“ rief diese aus, ohne auf die Karte zu schauen. „Er verliert ja wahrhaftig keine Zeit, herzukommen. Bringen Sie ihn bitte in den vorderen Salon.“
„Sehr wohl, Miss.“
Helena strahlte. „Oh, das wird lustig, nicht wahr, liebste Abigail?“
Es wurde natürlich keineswegs lustig, jedenfalls nicht für Abigail. Helena spielte gern mit Menschen, als wären es Modepuppen; sie zog sie an, schickte sie auf Abenteuer aus und beobachtete, was passierte. Vielleicht war das ja auch eine Art von Wissenschaft, die sich jedoch - falls es so sein sollte - sehr von der Astronomie unterschied.
Als die Schwestern in den Salon hinunterkamen, stand der Besucher abgewandt von ihnen. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und schaute aus dem Fenster. Mit seinen modischen, blank geputzten Schuhen war er größer als Leutnant Butler, wie Abigail feststellte.
„Guten Morgen, Mr. Calhoun“, grüßte Helena und glitt wie auf Schlittschuhen durch den Raum. „Schön, dass Sie gekommen sind.“
Abigail näherte sich ihm etwas langsamer. Sie vermochte nicht zu gleiten, außer in einer Gondel auf einem stillen Teich.
Nun drehte er sich um und bedachte sie mit einem verwirrenden Lächeln, das in Abigail bisher ungekannte Gefühle hervorrief. „Ganz im Gegenteil; es war nett von Ihnen, mich einzuladen. Sie scheinen sich beide von der gestrigen Veranstaltung sehr gut erholt zu haben.“
„Wir dürfen keine Minute verschwenden“, meinte Helena. „Ich kann es kaum erwarten, Sie mit Professor Rowan bekannt zu machen.“
„Ihr Vater ist nicht im Hause?“
Abigail wurde misstrauisch. Typisch Politiker! Immer auf der Suche nach dem Vorteil. „Falls Sie unseren Vater besuchen wollten, hätten Sie früher kommen müssen“, erklärte sie.
„Um mich dadurch Ihrer charmanten Gesellschaft zu
Weitere Kostenlose Bücher