Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
berauben?“ Spöttisch hob er die Augenbraue.
„Irgendetwas sagt mir, dass Sie in Ihrem Leben nicht noch mehr Frauen brauchen.“ Abigail vermochte der Versuchung nicht zu widerstehen, ihn an das zu erinnern, was sie im Garten des Weißen Hauses beobachtet hatte.
„Meine Teure, jeder Mann wird Ihnen bestätigen, dass man gar nicht genug Frauen im Leben haben kann.“
„Zanken Sie nur nicht mit meiner Schwester“, warnte Helena.
„Weshalb nicht?“
„Weil Sie dann verlieren.“ Sie nahm Abigails Hand. „Meine Schwester ist fraglos streitlustiger als jeder andere Mensch.“
Sein Lächeln war teuflisch, sprach jedoch auch von aufrichtigem Vergnügen. „Möglicherweise hat sie ja jetzt ihren Meister gefunden.“
„Das bezweifle ich. Sie kennen Abigail nicht, Mr. Calhoun.“
„Helena, bitte.“ Abigail drückte ihr die Hand. Vielleicht hatte die Schwester ja Recht. Ihre Streitlust war jedoch nichts anderes als Verteidigung, indem sie den harten Schild ihres Intellekts über ihre weiche Verletzbarkeit hielt. „Mr. Calhoun hat nicht den langen Weg quer durch die ganze Stadt gemacht, um etwas über mich zu hören."
Helena nahm Abigails Unbehagen nicht zur Kenntnis. „Sie ist eine erstklassige Gelehrte an der Universität auf dem Gebiet der Mathematik, und eines ihrer Spezialgebiete ist die ,Lehre vom Schluss“. Sie hat eine tödliche Art des Argumentierens. Der Klügere gibt nach, ohne sich mit ihr zu streiten.“
Mr. Calhoun stieß einen leisen Pfiff aus und sah Abigail herausfordernd an. „Das werde ich mir merken. Doch Sie müssen wissen, ich bin noch niemals einem guten Streit aus dem Weg gegangen.“
„Diese Einstellung steht Ihnen im Kongress gut an“, bemerkte Abigail und hoffte, damit das Thema zu wechseln. Dieser Mann verstörte sie. Immer wieder fiel ihr die Szene im Garten ein, und wüsste sie es nicht besser, hätte sie möglicherweise Neugier mit Interesse verwechselt.
Doch nein, dachte sie. So fühlte sie für Leutnant Butler; Mr. Calhoun faszinierte sie auf ganz andere Weise. Er sah gut aus, seine merkwürdigen grauen Augen sprühten Funken, sein Körper war der eines Athleten, und seine Hände wirkten weniger verweichlicht als bei einem Gentleman üblich. Wenn sie James Calhoun ansah, spürte sie Gefahr. Er bedrohte sie nicht körperlich, doch in anderer Beziehung. Er forderte sie heraus und provozierte sie. Außerhalb der akademischen Welt missfiel es ihr allerdings, herausgefordert und provoziert zu werden.
„Also dann los!“ Helena ging voraus zu der hellen Treppe, die sich durch das schmale, hohe Stadthaus wand. Sie war das Schönste am ganzen Gebäude, denn man konnte von oben bis unten hinuntersehen, und an jedem Absatz befanden sich Erkerfenster.
Abigail holte rasch ihre letzten Aufzeichnungen und Berechnungen, die sie dem Professor vorlegen wollte, und dann stiegen sie hinab. Beim Ankleidezimmer hielten sie kurz an, um die Umschlagtücher und Hauben anzuziehen. Professor Rowan wohnte zwar im Nebenhaus, doch die Herbstluft war kühl, und in Georgetown herrschten strenge Sitten. Eine Dame verließ das Haus niemals ohne Umschlagtuch und Kopfbedeckung. Selbst die Cabot- Schwestern richteten sich danach - noch.
Als sie nach draußen traten, blickte Abigail verstohlen zu Mr. Calhoun hinüber. Der Wind spielte mit seinem viel zu langen Haar, und der Sonnenschein glitzerte in seinen Augen. Was würde es wohl bedeuten, diesen schönen Teufel neben sich wohnen zu haben? Und was würde er wohl von Professor Rowan denken?
4. KAPITEL
E i n heruntergekommener, halb angezogener Dienstbote öffnete die Tür. Jamie hatte zunächst nur den Eindruck von A J dunklem Haar, welches eines Barbiers bedurfte, von geistesabwesenden Augen hinter dicken Brillengläsern und einem ärgerlich heruntergezogenen Mund. Der Mann war keineswegs alt, sondern vielmehr ein strammer junger Bursche, obwohl er so langsam herumschlurfte, als hätte er es nicht eilig, seinen Pflichten nachzukommen. Jamie fragte sich, was für ein Gentleman einem Dienstboten gestatten würde, sich dermaßen aufzuführen.
„Also wirklich, Professor Rowan, was denken Sie sich denn dabei? Es ist elf Uhr, und Sie sind noch nicht einmal angezogen“, schalt Helena Cabot.
„Ich bin doch angezogen“, erklärte der Mann, rieb über die dunklen Bartstoppeln auf seinen Wangen und schlug sich die Krümel von seinem vorn offen stehenden Hausmantel. „Nicht angezogen bedeutet nackt. Ich bin nicht nackt. Doch wenn Sie wünschen ...“
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