Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
mit der Haushälterin stieg sie die Treppe hinunter. Wie nicht anders zu erwarten, hatte Helena ihr Versprechen, mit Jamie spazieren zu gehen, längst vergessen.
Dieser trat jetzt dicht zu Abigail und versperrte ihr so die Tür. Der einfache, unparfümierte Geruch ihrer Seife konnte ihren zarten, weiblichen Duft nicht überdecken. „Ich hatte meinen Tee auch noch nicht“, sagte er dicht an ihrem Ohr.
„Der Professor bewahrt ihn in einer Dose auf“, erklärte sie kurz und knapp. „Gleich neben dem Arsen. Er hat einen Mann eingestellt, der sich um alles im Haus kümmert. Haben Sie Gerald Meeks schon kennen gelernt?“
„Ich hoffte eigentlich...“
„Ich weiß, was Sie hofften, Sir. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten, ich bin keine Närrin.“ Sie drückte sich an ihm vorbei und wandte sich zur Treppe. „Meinen Vater werden Sie zweifellos zu gegebener Zeit kennen lernen. Erwarten Sie nicht von mir, dass ich es Ihnen leicht mache.“
Er lachte leise, hielt ihr das Umschlagtuch hin und legte ihr die Hände für einen Moment auf die Schultern. Erregung durchflutete sie; er merkte es an ihren erschrockenen Augen, ehe sie rasch fortschaute.
„Mit Ihnen, Miss Cabot, dürfte wohl nichts leicht sein.“
Nachdem er sie hinausbegleitet hatte, kehrte er ins Arbeitszimmer zurück und betrachtete das Telefongerät mit einer Mischung aus Bewunderung und Misstrauen; aber er war auch neugierig geworden. Wenn man mit jemandem über eine Entfernung von einer halben Meile hinweg sprechen konnte, warum dann nicht auch über zwei Meilen? Oder zehn oder hundert? Darüber musste er sich einmal mit dem Professor unterhalten. In dieser neumodischen Erfindung lag durchaus Investitionspotenzial.
Als er den Raums verlassen wollte, fiel sein Blick zufällig auf den Schreibtisch, an dem Abigail gearbeitet hatte. Auf einer der Seiten las er: ml = Ho + 5 log (delta) + 2.5n log (r), gefolgt von einer langen Kalkulation. Und das alles in einer Handschrift, die so sauber und ordentlich war, dass sie wie gedruckt aussah. Kein Zweifel, diese Frau war wirklich eigenartig.
Unter der Formel lag der Brief, den sie im Namen ihrer Schwester zu schreiben begonnen hatte, eine kurze, leidenschaftslose Mitteilung an Leutnant Butler:
Lieber Leutnant, Ihr Brief war mir hochwillkommen, und ich erwarte Ihre weiteren Schreiben ...
Das hörte sich genauso nichtssagend und gleichgültig an wie Helenas Haltung diesem Mann gegenüber. Wie ein Schaf, das man zur Schlachtbank führte, wurde Helena Cabot zwecks Erfüllung der politischen Agenda ihres Vaters angeboten. Beide Schwestern schienen nur darauf bedacht, es ihrem Vater recht zu machen, und beide betrachteten den Sohn des Vizepräsidenten als Mittel zum Zweck.
Jamie beschloss, weiterzulesen. Einst mochte er vielleicht ein ehrenhafter Mensch gewesen sein, doch das war schon lange her. Jetzt jedenfalls quälten ihn keine Bedenken, sich der sauber beschriebenen Seiten zu bedienen, keine Bedenken, sich ein Glas Whiskey einzuschenken und sich eine Zigarre anzuzünden, keine Bedenken, sich ans Fenster zu setzen und Abigail Cabots heimliche Korrespondenz zu lesen.
Mein lieber Leutnant Butler...
Zunächst war es nur ein wenig boshafte Neugier, die ihn zum Weiterlesen bewegte, doch als er merkte, worum es in dem Brief ging, lehnte er sich zurück, um jedes einzelne Wort auf sich wirken zu lassen.
Dies waren keine heimlichen Notizen über Rowans Erfindungen, wie Jamie vermutet hatte. Was er in der Hand hielt, war viel beeindruckender. Es waren die Geheimnisse ihres Herzens. Ein glühender Liebesbrief an diesen menschlichen Holzklotz Boyd Butler! Abigail hatte sich vermutlich hingesetzt, um den Brief für ihre Schwester zu schreiben, und dabei war die Wahrheit aus ihr herausgebrochen. Kein Wunder, dass sie die Seiten versteckt hatte!
Als Ihr Brief eintraf ging für mich die Sonne zum zweiten Mal auf... Einfach zu wissen, dass Sie irgendwo auf der Welt sind, bringt Wärme in den kältesten Herbsttag. Meine Freude, von Ihnen einen Brief zu erhalten, wird nur noch übertroffen von der Ekstase, in Ihren Armen zu tanzen...
Neid und Eifersucht brannten heiß in Jamie. So zu lieben, der Gegenstand einer so tiefen Hingabe zu sein - all das musste wie ein Traum sein.
Er rief nach mehr Whiskey, und ein Dienstbote, der fast so schlampig und unangenehm war wie Rowan selbst, brachte das Gewünschte. Jamie erinnerte sich, dass der Mann Meeks hieß. Er war sozusagen das „Mädchen“
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