Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
widerstehen, sie ein wenig aufzuziehen. Sanft strich er über ihren Hals. „Wahrhaftigkeit und Liebe widersprechen einander nicht, wissen Sie. Manchmal führt sogar das eine zum anderen.“
Sie schlug seine Hand fort. „Ich habe zu arbeiten.“
Als sie den Raum verließ, lachte er lauthals. Er hatte nicht erwartet, sich während seines Aufenthaltes in der Hauptstadt so hervorragend zu amüsieren, und nur der Gedanke an Noah hielt seinen Blick auf das Ziel gerichtet. Jamie beabsichtigte, ein Gesetz einzubringen, welches Noahs Erbe schützte, und dafür zu sorgen, dass seine Vorlage durchkam, ehe er wieder zu seinem unbeschwerten Leben zurückkehrte.
Allerdings stellten Franklin Cabots Töchter eine überraschende Ablenkung dar. Helena war so liebreizend wie eine Sommerblume, interessierte ihn indes nicht halb so viel wie ihre Schwester. Stachelig, übellaunig und geradeheraus, wie sie war, würde sie niemals eine Ballkönigin werden. Dennoch vereinigte sie in sich die aufregendste Kombination aus Idealismus und Reizbarkeit, die ihm je begegnet war.
Jamie packte seinen Rasierkasten, die Toilettenartikel, seine Uhr und einige weitere persönliche Dinge aus, merkte jedoch, dass er in Gedanken bei Abigail war, die jetzt unten in Rowans Studierzimmer saß und vermutlich weit Interessanteres tat, als Hemdkragen einzusortieren.
Der Arbeitsplatz des Professors umfasste den Salon sowie den größten Teil des im Erdgeschoss befindlichen Esszimmers. Bücher, Magazine und Manuskripte lagen auf jeder verfügbaren Oberfläche herum und stapelten sich in den bis an die Decke reichenden Regalen. Wie im ganzen übrigen Haus standen auch hier Geräte und
Maschinen aller Art herum: mechanische Vergrößerungsapparate, eine „Royal“-Schreibmaschine und ein paar seltsame Erfindungen, die Jamie nicht zu deuten vermochte. Er vermutete, dass einige dieser Erfindungen nur in der Theorie funktionierten. Alles in allem wirkte der Arbeitsraum des Professors wie ein großes, unaufgeräumtes Kinderzimmer voller Spielzeug, das einen wissbegierigen Geist zu amüsieren vermochte.
Mit einem verzierten Füllfederhalter in der Hand saß Abigail an dem unordentlichen Schreibtisch und sah völlig verzweifelt aus. Da sie Jamie nicht kommen hörte, konnte er sie ungeniert für einen Augenblick beobachten. Auf einmal war sie für ihn nicht nur ein netter Zeitvertreib und ein notwendiges Bindeglied zu einem mächtigen Senator, sondern eine Frau mit Gefühlen, Geheimnissen und Träumen.
Zwar gingen ihn diese Geheimnisse und Träume nichts an, doch er wurde mit jeder Sekunde neugieriger auf sie. Alles an ihr interessierte ihn, von dem nachlässig geschlungenen Haarknoten bis zum Saum ihres unmodischen braunen Kleides. Ihm schien, als beobachtete er ein eifriges Vögelchen beim Nestbau, das um jedes Zweiglein und jedes Fädchen ungeheuer viel Aufhebens machte. Er wünschte, ein Teil ihrer Welt zu sein - nicht, weil ihm diese Welt so einladend erschien, sondern weil diese Frau seinetwegen so außer Fassung geraten war.
Um sie auf sich aufmerksam zu machen, stieg er geräuschvoll die letzten Stufen hinunter und trat dann in den Arbeitsraum. Sie hob den Blick von ihrer Schreibarbeit. „Plagen Sie sich immer noch ab?“ fragte er.
Sie legte die Hand über die Briefseite. „Ich wusste nicht, dass ich einen Termin einhalten muss.“
„Das müssen Sie auch nicht. Ich langweilte mich nur beim Auspacken, und deshalb wollte ich Sie fragen, ob Sie vielleicht mit mir einen Spaziergang machen möchten.“
„Nein, danke.“ Ihre Antwort kam ebenso schnell und entschieden wie ihr Federstrich auf dem Briefpapier.
„Bin ich Ihnen wirklich so zuwider?“ Er setzte ein gekränktes Gesicht auf und drehte sich zu dem verzierten Tisch beim Fenster um. In der Glasscheibe beobachtete er ihr Spiegelbild und sah zu seinem Erstaunen, wie sie ein paar Seiten unter die Löschmatte auf dem Schreibtisch schob. Das sind wahrscheinlich geheime Aufzeichnungen über Rowans Erfindungen, dachte er. Na und? Sollte sie doch ihre Geheimnisse haben. Er hatte schließlich auch welche, und außerdem musste er sich ihren Vater zum Verbündeten machen.
„Wohin ist der Professor gegangen?“ erkundigte er sich, ohne sich umzudrehen.
„Ins Labor, um an seiner Bogenlampe zu arbeiten.“
Jamie tat, als verstünde er, nickte klug und gab ihr dabei die Möglichkeit, die Löschunterlage wieder an ihre Stelle zu legen. „Ich bat Sie übrigens nur um einen Spaziergang, und nicht um
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