Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
nahm die Seiten, faltete sie, verschloss das kleine Päckchen mit einem Klecks Siegelwachs und schrieb „Leutnant Boyd Butler, U.S. Navy, Annapolis“ darauf. Dann übergab er den Brief dem Dienstboten. „Lassen Sie das so schnell wie möglich zu Leutnant Butler bringen.“
7. KAPITEL
A bigail schlug den Messingklopfer ein drittes Mal gegen die ^_l hölzerne Tür in der Dumbarton Street und wartete. Die Sonne ging inzwischen unter, und die letzten Strahlen fielen über die kupfernen Dächer auf dem Gipfel des Hügels. Der indigoblaue Himmel im Osten hatte schon die Venus geboren und den rötlichen Stern Antares im Herzen des Skorpions, der immer als Erster zu dieser Jahreszeit erschien.
Der herbe Geruch der Herbstluft erinnerte sie an ihre Tage als Schülerin. Man hatte ihr erlaubt, die Vorlesungen an der Universität zu besuchen. Still und unauffällig wie ein Möbelstück hatte sie hinten im Hörsaal gestanden. Doch diese Tage gehörten längst der Vergangenheit an.
In dem Haus gegenüber bewegte sich der Wohnzimmervorhang von Mrs. Vandivert, und Abigail winkte. Das tat sie immer, doch die neugierige Frau winkte nie zurück. Es schickte sich nicht, ohne Begleitung einen Nachbarn zu besuchen, doch Abigail und Helena hatten sich noch nie daran gehalten. Die ganze Nachbarschaft redete schon seit Jahren über die ungehörigen Töchter des Senators.
„Der Blitz hat mich noch immer nicht getroffen“, sagte sie und öffnete die Tür. „Hallo?“
Keine Antwort.
„Professor Rowan?“
Stille. Vermutlich war er noch bei der Arbeit.
„Mr. Calhoun?“
Wieder Stille, und dann folgte ein dumpfes Poltern.
Abigail raffte die Röcke und lief die Treppe zum Salon hinauf. In diesem Haus fühlte sie sich mehr daheim als in dem ihres Vaters. Die Residenz der Cabots wirkte wie ein Denkmal vergangener Herrlichkeit, voll von französischen Antiquitäten, irischem Kristall und englischem Porzellan, alles liebevoll gepflegt von einer kleinen Armee von Bediensteten. Im Gegensatz dazu war das Haus des Professors voll gestopft mit Gebrauchsmöbeln und modernen Geräten. Aus irgendeinem Grund störte die Unordnung Abigails Neigung zu Ordnung und Präzision nicht. Sie selbst mochte tollpatschig und ungepflegt wirken, doch in diesem Haus schien das nicht so wichtig zu sein,
„Hallo!“ rief sie noch einmal, als sie den Treppenabsatz erreichte. „Ist jemand da? Oh.“ Mr. Calhoun stand plötzlich vor ihr.
Er ist entschieden zu groß, dachte sie nicht zum ersten Mal. Doch im Augenblick erregte noch etwas anderes ihre Aufmerksamkeit. Sein Haar war ungekämmt, und die Halsbinde hing lose um den offenen Kragen. Das Hemd war nicht zugeknöpft und entblößte seine nackte Brust. Abigail hatte nie zuvor die nackte Brust eines Mannes gesehen. Eine ungewohnte Hitze durchströmte sie, und es fiel ihr schwer, den Blick abzuwenden.
Aus dem Augenwinkel stellte sie fest, dass Mr. Calhoun eine unangezündete Zigarre zwischen den Fingern der linken Hand hielt und eine weiße Maus auf der Schulter sitzen hatte. Er lächelte schief. „Kommen Sie, meine Liebe“, forderte er sie gut gelaunt auf. „Sokrates und ich fühlen uns schon ganz einsam, nicht wahr, mein Kleiner?“ Überraschend zärtlich streichelte er das Tierchen mit einem Finger.
Abigails Hals fühlte sich trocken an, und sie musste zweimal schlucken, ehe sie reden konnte. „Geht es Ihnen auch wirklich gut, Mr. Calhoun?“
„Ich bin stockbetrunken, Miss Cabble... Cab...ab.“ Er lachte. „Abby. Es macht Ihnen sicher nichts aus, wenn ich Sie Abby nen ne. «
„Ach nein?“
Er ging in den Arbeitsraum, um den kleinen Sokrates in den Glasbehälter zurückzusetzen. Dann schaute er zu, wie der Mäuse- rieh an seinem Arm hinunterhuschte. „Kommen Sie doch bitte herein. Tut mir Leid, dass ich Sie nicht klopfen hörte. Bin wahrscheinlich eingeschlafen.“ Überrascht betrachtete er die Zigarre, als hätte er vergessen, dass er sie in der Hand hielt.
Er legte sie in den Aschenbecher, nahm eine Karaffe auf und hielt sie gegen das Licht, das von draußen hereinfiel. „Whiskey?“ „Es sieht so aus, als hätten Sie nicht mehr viel übrig gelassen“, stellte sie fest. „Trotzdem vielen Dank, nein. Ich mag keine starken alkoholischen Getränke.“
„So spricht die wahre Lady.“ Er setzte die Flasche an die Lippen und ließ die letzten Tropfen seine Kehle hinunterrinnen.
Lieber Himmel, was war denn mit ihr los? Wenn sie nur seinen Hals betrachtete, erinnerte sie das an eine
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