Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
Annapolis ein. Abigail vermochte kaum noch zu essen oder zu schlafen, und oft lief sie noch bis in den frühen Morgen in ihrem Zimmer hin und her. Der Verzweiflung nahe, suchte sie Helena in deren Raum auf, wo sie ihre Schwester am Frisiertisch sitzend vorfand.
„Abigail, ich habe dich gar nicht hereinkommen hören.“ Helena schloss eine Schachtel auf dem Tisch und schob sie beiseite. „Ist alles in Ordnung?“
Abigail hielt ihr Leutnant Butlers kostbare Briefe hin. Genau wie ihre Zeilen an ihn sprachen auch seine Briefe von Hoffnungen und Träumen, von Geständnissen der Zuneigung und von Versprechen, die Abigails Herz schneller schlagen ließen. So konnte es jedoch nicht weitergehen, obwohl ihr diese täglichen Briefe alles bedeuteten, und sie vermutete, ihm ging es umgekehrt genauso. „Wir müssen damit aufhören. Das geht langsam zu weit.“
Helena warf einen Blick auf die Papiere. „Oh, die Briefe des Leutnants. Langweilen sie dich sehr?“
„Ich habe dir doch jedes einzelne Schreiben vorgelesen. Fandest du sie langweilig?“
„Nein, sie sind ganz reizend.“
„Was wir hier machen, ist schlicht und einfach falsch“, erklärte Abigail. „Er beantwortet immer meine Briefe, denkt jedoch, sie kämen von dir.“
Helena nahm eine silberbeschlagene Bürste auf und strich sich damit durch das kupferfarbene Haar. „Du warst so freundlich, das zu übernehmen, und es funktioniert ja auch so gut. Papa ist ganz begeistert, wie gut wir in dieser Angelegenheit vorankommen.“ Sie suchte im Spiegel kurz den Blick der Schwester.
Abigail hielt sich am Bettpfosten fest; sie musste sich stützen.
„Angenommen, Leutnant Butler würde ... Angenommen, er verlöre das Interesse an dir.“
„Kein Mann hat je das Interesse an mir verloren“, stellte Helena ohne jede Eitelkeit fest.
„Falls aber doch, wärst du dann böse?“
Helena lachte auf. „Ich würde ihn wegen seiner höheren Ziele bewundern!“
„Sprich doch nicht so von dir“, bat Abigail beunruhigt.
Helena durchquerte den Raum und nahm ihre Schwester in die Arme. „Mach dir meinetwegen keine Sorgen. Du musst nur seine Briefe beantworten, Liebling. Schreibe dem Mann, was du willst. Du kannst so gut mit Worten umgehen. Denke nur immer daran, was es für Papa bedeutet!“
Fast gegen ihren eigenen Willen schrieb Abigail weiterhin regelmäßig an Leutnant Butler und wartete auf seine Antworten wie ein Kind auf die Weihnachtsgeschenke. Sie war nicht besser als Jamie Calhoun - nein, sogar schlimmer, denn sie beteiligte sich an diesem Betrug ja nicht aus politischen Gründen, sondern des persönlichen Vergnügens wegen.
Jedes Mal jedoch, wenn sie beschloss, Schluss zu machen und Leutnant Butler mitzuteilen, dass sie diese Korrespondenz nicht mehr fortzusetzen wünschte, las sie sich seine Briefe noch einmal durch:
Etwas Kostbares, ja ich möchte sagen, etwas Bleibendes geschieht zwischen uns beiden, meine allerliebste Miss Cabot... Meine Bewunderung für Sie leuchtet ewig wie der Mond und ist so unaufhaltbar wie die Gezeiten...
Ach, wie könnte sie solch überzeugenden Worten widerstehen? Aber durfte sie einfach weitermachen?
Gequält von ihrem schlechten Gewissen, stieg sie eines Nachts aufs Dach, weil sie sich einen Plan ausdenken wollte, wie sie sich aus diesem Dilemma befreien konnte.
Es überraschte sie nicht, dort James Calhoun auf sie warten zu sehen. Er saß auf einem der Holzstühle, die sie hingestellt hatte, um die Sterne zu beobachten. Mr. Calhoun hatte sich angewöhnt, sie nachts auf dem Dach zu besuchen und mit ihr zu reden, während sie den Himmel studierte und sich Notizen machte.
„Da kommt ja meine Sternguckerin“, grüßte er aufgeräumt. In der einen Hand hielt er ein Glas mit Brandy und in der anderen einen Bogen Papier; eine Kerze flackerte im Windzug. „Ich lese gerade Sir Galahads letzten Brief.“
„Geben Sie her!“ Sie entriss ihm die Seite. „Erlauben Sie mir denn überhaupt kein Privatleben mehr?“
„Wir waren uns doch einig, dass wir die Briefe miteinander teilen“, erinnerte er sie. „Das hilft mir, meine Strategie zu planen.“ „Das ist nicht länger nötig. Ich schreibe nicht mehr an Leutnant Butler.“ Damit steckte Abigail den Brief ein.
„Sie haben den Fisch doch schon am Haken und müssen ihn nur noch hereinholen. Weshalb wollen Sie ihn denn jetzt wieder von der Angel lassen?“
„Weil er glaubt, ich sei meine Schwester.“
„Unsinn. Er glaubt, Sie seien sein Schicksal. Sie
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