Calhoun Chronicles 03 - Die Schoene Tochter Des Senators
Gewändern beiseite und blätterten stattdessen eine große Kollektion Originalzeichnungen durch. Abigail bekam mit, dass es sich dabei um die Arbeiten von Madame handelte. Solche Entwürfe hatte sie noch nie gesehen.
Im Gegensatz zu der gegenwärtigen Mode mit den Wespentaillen, den übertriebenen Turnüren und den geschnürten Oberteilen zeigten die Entwürfe der Modeschöpferin lange, geradlinige Etuigewänder, die den Körper eher umspielten, statt ihn zu verschnüren, und die klassisch im Sinne des antiken Griechenlands wirkten. In Georgetown würde man derartige Gewänder vermutlich als zu radikal, wenn nicht gar als skandalös ansehen, obwohl sie auf ihre Weise wesentlich „anständiger“ waren als die augenblickliche Mode.
Wie bei den Stoffen, so fragte man sie auch jetzt nicht nach ihrer Meinung. Nachdem man ihr Oberteil gesehen hatte, vertraute man wahrscheinlich ihrem modischen Geschmack nicht mehr. Eine der Assistentinnen trug drei der Skizzen zu Mr. Calhoun, um dessen Meinung einzuholen.
„Ich weiß wirklich nicht, weshalb Sie so viel Zeit meinetwegen opfern“, murrte Abigail.
„Ist es nicht die Aufgabe eines Abgeordneten, sich um die Bedürfnisse seiner Wählerschaft zu kümmern?“
„Ich bin nicht Ihre Wählerin. Ich wohne nicht einmal in Ihrem Wahlbezirk.“
„Stimmt, doch ich bin für die Bürger des ganzen Landes da.“
„Außerdem habe ich kein Wahlrecht. Das hat keine Frau.“
„Auch wahr. Umso schlimmer.“
„Ich nehme an, Sie fördern das Stimmrecht für Frauen.“
„Das allgemeine Wahlrecht!“ berichtigte er umgehend.
„Das nehme ich Ihnen nicht ab. Wieso sollte ein privilegierter weißer Landeigner das Stimmrecht für Frauen und Farbige unterstützen?“
„Nun, nennen Sie mich unwissend, doch als ich das letzte Mal nachschaute, besaßen laut dem Vierzehnten Zusatzartikel der Verfassung noch alle in den Vereinigten Staaten geborenen oder eingebürgerten Personen das Wahlrecht, und nicht nur diejenigen, die zufällig weiß, männlich, reich, gebildet und Landbesitzer waren.“
Abigail stellte sich vor, wie ihr Vater wohl auf diese Äußerung reagieren würde. Ihr zumindest gefiel Mr. Calhouns Einstellung und auch die Tatsache, dass er die Verfassung tatsächlich gelesen hatte.
„Ein Vorschlag“, sagte sie.
„ Ja?“
„Erwähnen Sie in einer großen Debatte des Kongresses nicht Ihre Ansichten über das allgemeine Wahlrecht. Man wird Sie sonst bei lebendigem Leibe fressen.“ Sie konnte zwar sein Gesicht nicht sehen, fügte jedoch hinzu: „Nun gehen Sie nicht gleich in die Luft.“
„Woher wissen Sie, dass ich in die Luft gehe?“
Sicher, sie konnte es eigentlich nicht wissen, doch sie fühlte sich diesem Mann merkwürdigerweise so verbunden, dass sie seine Stimmungen buchstäblich riechen konnte. „Ich weiß es eben. Im Übrigen stimme ich zufällig mit Ihnen überein.“
„Und Ihr Vater? Ist der auch für das allgemeine Wahlrecht?“ Abigail lachte über so viel Naivität. „Wie lange, glauben Sie, könnte er wohl seinen Sitz im Senat behalten, wenn er das zugäbe? Hören Sie, Mr. Calhoun, im Widerspruch zu meinem Vater zu stehen ist wie in einen Misthaufen zu treten; es geht nicht, ohne dass man sich lächerlich und schmutzig macht. Und daran kann man sich dann nur selbst die Schuld geben.“
„Ihr Ratschlag ist ungemein ... anschaulich formuliert.“
„Im Kongress müssen Sie Ihre Meinungsäußerungen wohl dosieren, um Ihre Anliegen durchzusetzen. Was Damenmoden angeht, mögen Sie sich für einen Kenner halten, Mr. Calhoun“, fuhr sie rasch fort, ehe er sie zu unterbrechen vermochte, „doch wenn Sie nur halb so klug sind, wie Sie glauben, dann hören Sie in Fragen der Politik auf mich.“
„Ich beuge mich der Tochter des Senators.“
Nun kamen die Frauen wieder zu ihr, schwatzten und zupften rüde an ihrem Hemd.
„Mr. Calhoun“, rief sie, „ich möchte gern wissen, was hier gespielt wird.“
„Keine Sorge! Man meint nur, Sie würden fast von Ihren Unterröcken verschluckt.“ Er schwieg einen Augenblick, und Zigarrenrauch schwebte in die Höhe. „Eine durchaus hübsche Vorstellung.“
„Sie sollten endlich gehen!“
„Solche Unterwäsche sei nicht zu vereinbaren mit dem neuen Stil, den Madame für Sie vorsieht.“
Mit einem Mann über Unterkleidung zu reden war unüblich, wenn nicht gar höchst unmoralisch.
Abigail fühlte, wie an ihr gerissen wurde, und dann fielen die Unterröcke zu Boden, so dass sie jetzt nur noch in Hemd und
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